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Das Interview mit Manfred Heckens (Langfassung)

DENTAGEN INFO 2020/01


Er ist einer von 5.000 Lobbyisten in Berlin. Er verschaffte sich als Chef des Arbeitgeberverbandes Zahntechnik mit einem juristischen Gutachten „Praxislabor” Gehör in der Bundeskommission Gesundheit. Er hält die immer noch andauernde berufspolitische Zurückhaltung der Zahntechnik für einen großen Fehler. Er betrachtet die Ausbildung deutscher Zahntechniker im Vergleich zum europäischen Ausland als „museal”. Warum Wirtschaftsminister Altmaier und nicht Gesundheitsminister Spahn Adressat für eine Verbesserung der Rahmenbedingungen der Zahntechnik ist? Darüber und über ein neues Gutachten zu Zahn-Medizinischen Versorgungszentren (Z-MVZ) sprach Journalist Bernd Overwien für DENTAGEN IINFO mit Manfred Heckens.

Als Sie 2015 gestartet sind, welche Ziele haben Sie sich da gesetzt für die nächsten Jahre?


Drei Kernziele: die politische Vertretung auf Bundes- und EU-Ebene, die berufliche Fortentwicklung sowie die Gestaltung von klaren Rahmenbedingungen, in denen sich der Zahntechnik-Unternehmer zukünftig bewegen kann. So wollen wir auch Betrieben, die nicht in einer Innung sind, ein Forum verschaffen, in dem sie sich berufspolitisch engagieren können. Das ist unser Anspruch. Die Arbeit ist im vollen Gange.

Zahntechniker haben sich berufspolitisch ja sehr zurückgehalten in der Vergangenheit. Warum eigentlich?

Weil sie sich durch den VDZI und die Innungen umfänglich vertreten glaubten. Die Geschäfte liefen ja auch lange gut. Zahntechniker waren nie politisch. Die Notwendigkeit, einen reinen Arbeitgeberverband Zahntechnik zu gründen, wurde nicht erkannt. Zumal sich der VDZI immer als der alleinige Vertreter gesehen hat, um das mal freundlich zu formulieren.

Wer sich die Agenda des Arbeitgeberverbandes ansieht, kommt unweigerlich zu dem Schluss, da muss viel Lobbyarbeit geleistet werden. Können Sie sich in einem Berlin mit schätzungsweise 5.000 Lobbyisten überhaupt Gehör verschaffen?

Vorweg: Ich betreibe Lobbyarbeit nicht erst seit 2015. Ich bin seit gut 25 Jahren im Politikberater-Geschäft. Auf allen Ebenen. Letztendlich auch auf europäischer Ebene in Brüssel und Straßburg sowie mit ausgeprägten Netzwerken in Berlin. Ich habe immer meine Verbindungen für die Zahntechnik eingebracht….

…zumal Sie auch Landesinnungsmeister in Rheinland-Pfalz sind….

…. was wiederum ebenfalls ein Auftrag war, die berufspolitischen Interessen der Zahntechnik zu vertreten. Aber das reicht nicht. Gestatten Sie mir einen kleinen Rückgriff: die heterogene Struktur der Zahntechnik, die keinen Zahntechnik-Unternehmer verpflichtet, Mitglied einer Innung oder einer anderen berufspolitischen Organisation zu sein, hat – im Gegensatz zu der Pflicht-Organisation der Zahnärzte – kein standespolitisches Bewusstsein erzeugen können. Die Zahnärzte haben es geschafft, ihre Vertreter an exponierten Stellen früher in Bonn und heute in Berlin und Brüssel zu platzieren. Wenn jemand in den zuständigen Gesundheitsgremien über Zähne redet, dann sind es die Zahnärzte. Wie zuletzt beim Implantatgesetz. Eine feste Vertretung der Zahntechnik in der Politik, die gute Rahmenbedingungen unserer Berufsausübung anstrebt, war bis zur Gründung des AVZ nicht erkennbar.

Auch ein kleiner Rückgriff meinerseits: wie verschaffen Sie sich als Stimme des Arbeitgeberverbandes Zahntechnik nunmehr Gehör?

Zum Beispiel in der Bundeskommission Gesundheit. Das ist reine Kärrnerarbeit. Da muss jeder Beitrag exzellent vorbereitet sein. Allein in dieser Kommission sind zwei zahnärztliche Verbände vertreten. Demgegenüber vertrete ich die Zahntechnik in einem Block zusammen mit den weiteren handwerklichen Gesundheitsberufen: Augenoptiker, Hörgeräteakustiker, Orthopädieschuhtechniker, Orthopädiemechaniker und Bandagisten sowie Zahntechniker. Die Zuständigkeit für diese Berufe liegt primär beim Bundesministerium für Wirtschaft und Energie.

Also ist Peter Altmaier Ihr Adressat, und nicht Jens Spahn?

Was viele nicht wissen: Mit den privaten Krankenkassen, gesetzlichen Krankenkassen, Ärzteverbänden, Krankenhausverbänden bis hin zur Deutschen Luftrettungsgesellschaft sind 28 zum Teil sehr gewichtige Stimmen im Gesundheitsausschuss vertreten. Beispielsweise bringt auch ein BVMed, der Berufsverband Medizintechnologie, in die Gremien und Ausschüsse eine enorme Power ein. Alle mit bestens ausgebildeten Leuten und starkem finanziellen Background. Da gilt es, intelligente Beiträge einzubringen, den richtigen Moment zu nutzen, um Aufmerksamkeit für die Belange der handwerklichen Gesundheitsberufe zu bekommen. Von Gehör auf ministerieller Ebene will ich da für uns Zahntechniker noch gar nicht sprechen. Aber wir sind jetzt in Berlin dabei.

Was die berufspolitische Wahrnehmung anbetrifft: wie wichtig war da Ihr Rechtsgutachten zum „Praxislabor“? Zahnärztliches Praxislabor versus Handwerksbetrieb?

Sehr wichtig! Prof. Dr. Steffen Detterbeck und  Prof. Dr. Hermann Plagemann kommen in der  juristischen Analyse unter anderem zu dem Schluss: Der Gesetzgeber verlangt von allen Leistungserbringern – präventiv – eine Qualitätssicherung, die sich auf alle Stufen der Leistungserbringung erstreckt, also nicht erst beim Ergebnis ansetzt, sondern auch den Prozess der Herstellung mit umfasst. Im Zahntechnikrecht ist Teil der Qualitätssicherung die Meisterpräsenz im Betrieb, die das zahnärztliche Praxislabor regelmäßig nicht sicherstellt. Das ist nur ein Aspekt: Das ganze Rechtsgutachten ist auf der Homepage des AVZ abrufbar (Anm. d. Red: avz_berlin_rechtsgutachten_zahnaerztliche_praxislaber_soziale_grenzen_online.pdf).

Z-Mediznische Versorgungszentren sind auch und insbesondere ein Angebot an die Zahnmedizin. Wie werden Sie als Arbeitgeberverband darauf reagieren?


Mit einem weiteren juristischen Gutachten unter dem Titel „Das Z-Medizinische Versorgungszentrum als Kapitalstruktur“. Die Nachkommen der Kaffeeröster Jacobs und andere Großinvestoren  streben mit der Investition in Z-MVZ eine komplette Vergewerblichung der Medizin an. Z-MVZ gehören berufsrechtlich nicht zur Zahnärztekammer, sondern zur Industrie- und Handelskammer und werden dort als GmbHs geführt. Hier können komplett neue industrielle Strukturen entstehen und sind durch das Gesetz gedeckt. Die Abflüsse von Zahnersatz aus diesen Versorgungszentren kann die Branche noch gar nicht abschätzen. Stellen Sie sich 700 Z-MVZ vor, in denen Zahnersatz selbst gefertigt wird. Dann ist kein Wettbewerb mehr möglich. Das Produkt Zahnersatz aus meistergeführten gewerblich-handwerklichen Laboratorien nimmt dann nicht mehr am Marktgeschehen teil.

Ist das Ihren Kolleginnen und Kollegen in den Dentallaboren bewusst?


Das vermag ich nicht zu sagen, aber die Fragen der Auswirkungen müssen auf den Tisch. Wie wollen wir uns auf einem solchen Markt positionieren? Wenn wir diese Frage nicht schnellstens klären, werden wir vom Markt verschwinden.

Ist die Feminisierung der Medizin – und insbesondere der Zahnmedizin – nicht maßgeschneidert für Z-MVZ-Konzepte?

Das muss man so sehen. Familienplanung, Work-Life-Balance und Standorte in Strukturen, wo auch der Freizeitwert stimmt, spielen natürlich in der Arbeits- und Lebensplanung von Medizinerinnen eine zentrale Rolle.

Wird die Versorgung in einem Z-MVZ für die Patienten teurer werden?

Davon gehen die in der Bundeskommission Gesundheit vertretenen Zahnärztlichen Verbände und Krankenkassen aus. Es geht ja darum, in der Z-MVZ-Praxis Rendite für die Investoren zu erwirtschaften. Kein Bürokram mehr, alles wird dir abgenommen – das ist doch verlockend, oder? Kostet aber auch mehr Geld. Und wie gesagt: Die Investoren haben eine Erwartungshaltung.

Wann fällt der Politik das Stadt-Land-Gefälle auf die Füße?

Wenn ein 80-jähriger Rollator-Fahrer zur nächsten medizinischen Untersuchung 7o bis 80 Kilometer fahren muss – und den Fall haben wir nicht nur in Rheinland-Pfalz –, dann kann von struktureller Gesundheitsversorgung keine Rede mehr sein. Durch steigende Mieten in den Städten wird das Land und die Fläche zum Altenheim der nächsten Generation. Ohne Hausarzt, ohne Zahnarzt und ohne Apotheke. Die Wirtschaftsmetropolen üben eine Sogwirkung auf junge, gut gebildete Leute vom Land aus. Die Alten bleiben in der Fläche, der Eifel, im Hunsrück oder in Mecklenburg-Vorpommern alleine zurück. Das Problem wird noch stärker als bisher der Politik krachend auf die Füße fallen. Schauen Sie sich Wahlergebnisse an.

Die Z-MVZs werden das Stadt-Land-Gefälle vergrößern. Im Münsterland werden Grundstücke an Ärzte verschenkt. Ist das der Weg?

Ja, wenn das juristisch sauber ist, ist das doch ein gutes Lockmittel. Aber in der Tat – das Land muss attraktiv werden. Gleichwertige Lebensverhältnisse bedeuten auch, gute Schulen, guter Nahverkehr, gute medizinische Versorgung und großer Erholungswert. Es darf ja nicht sein, dass eine Zahnärztin auf dem Land um 14 Uhr mal eben die Praxis schließen muss, um ihre Tochter zur Theater AG ins 25 Kilometer entfernte Gymnasium zu fahren. Der Mann ist Banker oder sonst was in der nächst größeren Stadt. Nein, selbst wenn Sie denen ein Grundstück schenken, geht da keiner hin. Und ein Hausarzt, der nachts gerufen wird zu einem Unfall auf der Landstraße, um Leben zu retten? Der wird mit 25 Euro vergütet. Natürlich steht Leben retten immer im Vordergrund, aber die Rahmenbedingungen stimmen nicht.

Was ist zu tun?

Entbürokratisierung, für ein neues Gesetz, das reinkommt, müssen mindestens drei alte Gesetze raus. Alles entschlacken. Wir regeln und dokumentieren uns fast an die Wand. Die für Mai zu erwartende neue Medizinprodukte Verordnung (MDR) verursacht meines Erachtens in einem mittleren Dentallabor ungefähr 45 Minuten Dokumentationszeit am Tag! Das sind ca.15 000 Euro Mehrkosten im Jahr durch die Dokumentationspflichten. Die bilden sich nirgendwo im Preis ab. Datenschutz, Verpackungsgesetz und in diesem Jahr die MDR. Das ist für einen Zahntechnikerbetrieb eine enorme finanzielle Belastung. Mich stört, dass außer uns niemand sagt, wie das betriebswirtschaftlich für die Betriebe ausgeglichen werden kann.

Befindet sich nicht auch die Zahntechnik in einem Gebührenkorsett?

Ja. Es gibt ja nicht die Möglichkeit einer kalkulierten Preisgestaltung, mit der zusätzliche Kosten durch neue Gesetzesvorschriften kompensiert werden können. Da haben mir die Krankenkassen in der letzten Runde schon achselzuckend gesagt: Dafür seid ihr Unternehmer. Aber über die obere Grenze der BEL-Gebührenordnung kann niemand gehen. Und die obere Grenze besteht seit 1992. Die Zahntechnik hinkt zur Zeit ca. 43 Prozent hinter der Allgemeinen Preisentwicklung im Deutschen Handwerk her.

Wie wird sich das Arbeitsverhältnis zwischen Zahntechniker und Zahnarzt in Zukunft entwickeln?

Der Zahntechnikermeister wird den Zahnarzt am Behandlungsstuhl aber auch im Mund des Patienten unterstützend assistieren. Beispielsweise bei der Anprobe einer Totalprothese. Da ist der Zahntechniker der Technische Fachmann. Digitale Abdrücke oder auch Anproben, diese Tätigkeiten sind keine medizinischen Behandlungen. Warum soll ein Zahntechniker-Meister nach sieben Jahren Qualifikation und einer zusätzlichen Ausbildung mit einer Prüfung durch Zahnärzte nicht das tun, was einer Zahnarzthelferin nach dreijähriger Ausbildung zugetraut wird? Das wird man auf der europäischen Ebene schneller regeln können.

Aber wie wird das vergütet?

Es gibt die GOZ, warum soll es keine GO-Technik geben? Der Zahntechniker muss ähnlich der GOZ nach der Gebührenordnung Technik (GOT) abrechnen können. Damit klar ist – das sind meine Leistungen, das sind deine Leistungen.



Da halten Sie der Zahnmedizin aber ein Stöckchen hin oder nicht?

Ich wage mal eine Prophezeiung. Auch und gerade Zahnmedizinerinnen werden sich gern von einem erfahrenen Zahntechnikermeister oder einer Zahntechnikermeisterin begleiten lassen, die sich beispielsweise im digitalen Prozess auf einem sehr guten Niveau befinden. Das ist nicht chauvinistisch gemeint, um Himmels willen. Viele männliche Zahnmediziner nehmen ja auch heute schon gern den Support der Zahntechnik an. Nur darf eine wirklich effektive Unterstützung nicht strafbar sein und die entsprechende Vergütung muss geregelt sein.

Viele Aufgaben für einen Arbeitgeberverband, dessen Existenz von den Kolleginnen und Kollegen im Lande nicht in Frage gestellt wird?

Wir haben nach vielen Gesprächen und Diskussionen lange gebraucht, den Arbeitgeberverband Zahntechnik e.V. als berufspolitische Interessenvertretung zu etablieren. Niemand kann erwarten, dass wir in nur fünf Jahren alle großen Fragen beantworten, oder Probleme, die mehr als 64 Jahre existieren, in dieser Zeit ausräumen. Viele Unternehmer glauben immer noch, dass der Arbeitgeberverband eine Art Hauruck-Veranstaltung ist. Wir haben einen Zug auf die Gleise gestellt und hoffen auf die Anschub- und Unterstützungskräfte aus der Zahntechnik. Und dieser Zug rollt. Unser Gutachten „Praxislabor“ hat sich etabliert, es wird auf verschiedensten juristischen Ebenen zitiert. Und rein rechtlich dürfte nach Änderung der Neuen Approbationsordnung für Zahnärzte nach einer Übergangszeit keine Gründung eines Praxislabors mehr möglich sein. Und jetzt kommt in Kürze unser Ergänzungsgutachten zum Komplex MVZ. Das sind wichtige Meilensteine.

Macht Ihnen Europa Sorge oder Hoffnung für den Berufsstand?

Hoffnung! Gegenüber anderen europäischen Ländern ist unsere Ausbildung zum Zahntechniker gut, aber ausbaufähig. Wir müssen ständig nach Verbesserung streben.

Wer trägt die Verantwortung dafür?

Der Bundesverband VDZI, da beißt keine Maus den Faden ab. Wie zögerlich allein der Komplex Digitalisierung behandelt wird. Da brauchen wir einen Cut, um international mitspielen zu können. Es gibt zum Teil schon weitergehende universitäre Ausbildungen, die wir in Europa haben. Österreich ist mit der Universität in Kärnten federführend.

Wer so leidenschaftlich und engagiert für einen Beruf oder eine Berufsgruppe über Jahrzehnte unterwegs ist, kann der auch ein Familienmensch sein?

Das mag es geben. Mir ist es so nicht gelungen. Wenn man 14 Jahre keinen Urlaub mehr gemacht hat, dann kriegt man halt irgendwann die rote Karte gezeigt. Und mein Sohn und meine Tochter hatten folglich keine Ambitionen, den Betrieb zu übernehmen. Sie gehen beruflich andere Wege.

Wieviel Zeitaufwand verbindet sich allein mit Ihrer Lobbyisten-Tätigkeit in Berlin?

Habe ich nicht ausgerechnet. Meine Devise lautet: Ganz oder gar nicht! Ich war nie ein Hobby-Innungsmeister, ich bin auch kein Hobby-Vorsitzender des Arbeitgeberverbandes.

Stimmt es eigentlich, dass man ein gerütteltes Maß an Trinkfestigkeit braucht, um im Haifischbecken Berlin ein kompetentes Ohr für seine Anliegen zu finden?

Ja, kann man so sagen. Vor allem bei Kaffee muss man trinkfest sein. Bei langen Sitzungen steht immer auch ausreichend Kaffee auf dem Tisch. Mit der Arbeit in Berlin oder Brüssel sind immer Verabredungen und Treffen mit Politikern oder deren Wissenschaftlichen Mitarbeitern auch außerhalb der Sitzungen verbunden.

Wie viele der 16 Ländervertretungen in Berlin kennen Sie?


(lacht) Einige. Und das ist auch gut so.

Herr Heckens, herzlichen Dank für das Gespräch.

Quelle: DENTAGEN Info 2020/01