Skip to main content

Heinz Schiller

DENTAGEN INFO 2022/01


Einer von seinem Schlag ist eher die Ausnahme im rastlosen Industriemanagement von heute. Über Verlässlichkeit als Tugend, über Wertschätzung und Fairness als Aspekte für eine gute Arbeitsatmosphäre, über die Eintrittskarte zur „Seele eines Dentallabors“, über anerkannte Kompetenzen, erworben in einem bewegten Berufsleben, über absehbare Entwicklungen im Dentalmarkt, über die Liebe zum Fußballsport und die Pläne für den bevorstehenden Ruhestand sprach Journalist Bernd Overwien für DENTAGEN INFO mit dem Key Account Manager der Kulzer GmbH, Heinz Schiller (66).

Ganz unabhängig vom eingeschränkten Kommunikationsraum in einer Pandemie: Wieviel „Old School“ kann sich ein Key Account Manager in einer digitalisierten Dentalwelt heute noch leisten?

Wenn damit Kompetenz, Pünktlichkeit, Verlässlichkeit, Ehrlichkeit und ein verbindlicher Händedruck unter vier Augen gemeint ist, dann ganz viel.

Laut Definition Wirtschaftslexikon sind Sie als Key Account Manager ein Generalist, der sich um Kunden kümmert, die eine vorausschauende, weitsichtige Firmenphilosophie verfolgen. Ist das so?

Machen wir es mal einfacher. Wer im Dentalmarkt weiter bestehen will, agiert längst zukunftsorientiert. Davon muss ich meine Gesprächspartner nicht mehr überzeugen. Und dass sich die großen Labore eine innovative Weitsicht eher leisten können als kleine Betriebe, ist leider die Realität. Aber ich sehe mich in erster Linie als Integralist.

Was bedeutet das?

Das bedeutet, Kunden nicht nur für etwas zu begeistern, sondern konkrete Lösungen anzubieten, die ihren individuellen Bedürfnissen angepasst sind. Um Kunden in die entsprechenden Produktbe­reiche unseres Unternehmens zu integrieren, muss man den Workflow in ihrem Betrieb genau im Auge haben. Welche Keramik passt haargenau zu den Legierungen, die im Labor verwendet werden? Ein Beispiel, was zwar immer weniger wird, aber meine Definition des Integralisten vielleicht gut erklärt.

Dazu braucht es viel Wissen. Und vielleicht noch mehr Erfahrung?

Ich bin nun 28 Jahre bei Kulzer, hatte zuvor zehn spannende Jahre bei Wieland Edelmetalle in Pforzheim. Ich kam mit der Erfahrung aus zehn Laborjahren in die Industrie. Ich habe also mein Handwerk von der Pike auf gelernt, wie man sagt.

War Zahntechniker Ihr favorisierter Berufswunsch?

Nein. Nach dem Abitur wollte ich Landschaftspflege studieren. Heute heißt es Umwelt- und Landschaftspflege. Ich habe keinen Studienplatz bekommen….

…aber Sie waren jung und brauchten das Geld?

(lacht) Ja, so ist es. Die Zahntechnik-Branche boomte damals. Nach vier Monaten als Anlernkraft in einem Labor im Großraum Stuttgart hat der Chef gesagt: „Du machst das gar nicht schlecht. Mach‘ eine Lehre, Junge“ So ging das los.

Der Wechsel in die Industrie. Welcher Umstand/Zufall hat da Regie geführt?

Die Liebe zum Fußball. Ich hatte in jungen Jahren an der Sporthochschule Köln die Lizenz zum Fußballlehrer erworben. Übrigens in einem Jahrgang mit Jörg Berger, der später ja unter anderem auch Trainer auf Schalke war – und mit Ralf Rangnick, dessen atemberaubender Weg schließlich zu Manchester United führte. Nun ja, bei einem Spiel in Pforzheim hat mich der damalige Geschäftsführer von Wieland angesprochen. Er hätte da was Interessantes für mich. So war es dann ja auch.

Hoppla. Schillernde Namen der Fußballwelt. Wo blieb da der Trainer Heinz Schiller?

Nicht zuletzt als Spielertrainer beim Göppinger SV, dem „FC Hollywood“ der dritten Liga. Aber das ist ein ganz anderes Thema, der Beruf ging erst einmal vor.

Was war der erste Job für einen gestandenen Zahntechniker in der Industrie?

Außendienstmitarbeiter. Temporär auch Assistenz der Geschäftsleitung. Aber da draußen bei den Kunden. Das war sofort mein Ding.



Merken Kunden schnell, da kommt einer, der weiß, was Arbeiten im Labor jeden Tag bedeutet?

Ha. Natürlich. Ich habe Südbaden als Umsatz-Schlusslicht bei Wieland übernommen. Nach zehn Jahren war Südbaden ganz vorn dabei. Zahntechniker gelernt zu haben, war die Eintrittskarte zur ‚Seele eines Labors‘, um es mal ein bisschen pathetisch zu formulieren. Stimmt aber.

„In Düsseldorf haben die Leute den besten Zahnersatz, aber kein Geld. Im Schwarzwald haben sie den Mut zur Lücke und hocken auf ihrem Moos.“

Nach zehn erfolgreichen Jahren musste eine neue Herausforderung her?

Nicht so wirklich. Auslöser für den Wechsel waren personelle Verän­de­rungen in der Geschäftsführung bei Wieland. Und parallel dazu bot mir der damalige Vertriebsleiter von Heraeus Hanau den Verkaufsleiter für Süddeutschland an.

Eines von den Angeboten, die man bekanntlich nicht ablehnen kann…?

Ha, ich weiß, was gemeint ist. Aber wir sind ja nicht im Kino. Nein, nach zehn sehr guten Jahren als Verkaufsleiter wurde ich erster Key Account Manager bei Heraeus und bin es bis zum 31. März 2022 auch bei Kulzer noch. Dann Rente und dann schau’n mer mal.

Wie sieht Ihr Arbeitsalltag aus?

Völlig unspektakulär. Feststehende Termine, ab und zu ruft ein Kunde außerhalb des Terminkalenders an. Also Frau Schulz, Herr Beckmann oder Herr Landmesser bei DENTAGEN beispielsweise wissen immer genau, wann der Schiller bei ihnen aufschlägt. Der Firmensitz da im Ruhrgebiet auf dem Gelände der ehemaligen Zeche Waltrop gefällt mir sehr gut. Das hat was Besonderes.

Das hört sich nach viel Zeit hinterm Steuer an. Fahren Sie gern Auto?

Vor der Pandemie habe ich 60.000 Kilometer gemacht. Verkehrsdichte, Staus, LKW-Karawanen, Hunderte von Radaranlagen – nein, Autofahren wird eine der wenigen Tätigkeiten sein, die mir in der Rente nicht fehlen werden.

Wenn einer wie Heinz Schiller in Rente geht, freut sich Ihre Frau oder hat sie eher Bedenken?

Da müssen Sie meine Frau fragen. Wir sind so lange verheiratet, haben Zwillinge. Die Jungs sind heute 31 Jahre alt. Ich denke, sie freut sich auch. Denn bei allem, was das Alter so mit sich bringt – das Schöne an der Rente ist doch, ein selbstbestimmtes Leben führen zu können. Ob das dann Ruhestand ist, werden wir sehen.

Gibt es schon berufliche Angebote für den Ruheständler in spe?

Ich bin von Haus aus leidenschaftlicher Netzwerker. Wer so lange in der Branche ist, kennt natürlich Gott und die Welt. Und da gibt es schon Anfragen, ob ich Lust habe, ein, zwei Jahre noch was zu tun. Ob nun volle Kanne oder neben der Freizeit – die nächsten Wochen werden es zeigen.

Wohin geht die Reise in Labor und Praxis?

Ich habe keine Glaskugel. Aber den Dentallaboren fehlen die Fachkräfte. Aufgrund neuer Technologien werden einige zahntechnische Arbeiten die Zahnarztpraxen nicht mehr verlassen. Ich sag nur: 3D-Drucker. Der wird im Kunststoff- und Kompositbereich und letztlich auch im Seg­ment Keramik viele Lösungen ermöglichen. Den Laboren wird die Wertschöpfung fehlen.

Apropos Fachkräfte. Zu lange Ausbildung, zu wenig Bezahlung?

Ist im Handwerk ja ein branchenübergreifendes Problem. Ich warte seit Wochen daheim auf einen Elektriker. Viele Dentallabore haben die Ausbildung von jungen Menschen versäumt. Und wenn ich höre, dass ein Zahntechniker nach dreieinhalb Jahren Ausbildung zwischen 2.200 und 2.500 Euro brutto verdient – wie soll der eine Familie gründen?

Werden die Großen größer werden und die Kleinen kleiner?

Die großen Dentallabore werden größer werden, viele kleinere Betriebe werden aufgelöst oder sind es schon. Die Babyboomer kommen jetzt ins Rentenalter und finden keine Nachfolger. Fragen Sie mal bei Frau Schulz bei DENTAGEN nach, die wird das bestätigen können.

Pöhler mit Schraubstollen und zu Ostern ´ne Pocke

Woher kommt dieses fundamentale Interesse am Fußballsport?

Ich bin 1955 geboren. Da gab es zu Ostern eine Pocke, zu Weihnachten Pöhler mit Schraubstollen, wie man im Ruhrgebiet so schön sagt. Bei Schnee haben wir die Stollen rausgeschraubt und mit Salatöl eingefettet. Wir waren schon als Butzale den ganzen Tag auf dem Bolzplatz. Es gab sonst nichts. Für mich gab es aber auch nichts Schöneres.

Der erste Stadionbesuch. Erinnern Sie sich?

Natürlich. Mit dem Vater beim VfB Stuttgart. Da hat man ein Leben lang gewisse Sympathien für den Klub. Ohne totaler Fan zu sein. Große Sympathien habe ich auch für die Bayern…

…jetzt wird das Eis glatt, Herr Schiller…

(lacht) …nein, auch für Borussia Dortmund. Chapeau, was Watzke und Zorc nach dem Niebaum-Debakel aus diesem Traditionsverein gemacht haben.

Sind Sie wegen Ihrer eigenen Jungs Fußball-Lehrer geworden?

Nein. Die interessieren sich gar nicht für Fußball. Ich wollte mir immer ein umfassendes Bild von diesem Sport machen. Die Ausbildung zum Trainer ist viel umfangreicher als mancher denkt. Später als Spielertrainer in Göppingen war ich der Vorgänger von Bayern-Profi Willi Hoffmann. Mein Nachfolger war Buffy Ettmayer.

Der rundliche Österreicher mit dem Hammer und den legendären Sprüchen?

Genau der. Kennen Sie diesen legendären Dialog zwischen Albert Sing, Trainer des VfB Stuttgart und seinem Spiel­macher Hans „Buffy“ Ettmayer?: „Buffy du spielst nicht. Du bist zu dick!“ – „Ich war immer schon so!“ – „Es gibt Bilder von dir, da warst du dünner! – „Die sind wahrscheinlich mit einer Schmalfilm-Kamera gemacht!“.

Konnte Harald Schmidt kicken?

Wie kommen Sie darauf?

Sie waren doch Nachbarskinder in Nürtingen oder?

Ja, das stimmt. Harald wohnte nur ein paar Häuser weiter. Die Familien kannten sich gut, beide Mütter kamen aus dem Egerland. Aber ob der kicken konnte, weiß ich nicht mehr. Dass er Ahnung von Fußball hat, bewies er ja als Co-Moderator von Wolff Fuß bei SAT1. Ich bin früher häufiger mit guten Kunden in seine Late Night Show nach Köln-Mühlheim gefahren.

Gibt es davon Bilder?

Nein, glaube nicht. Ich war nicht der Typ, der so gesagt hätte: Harald, kannst du mir mal einen Gefallen tun und hier mit meinen Kunden in die Kamera lächeln. Nein, das wäre mir peinlich gewesen.

Fußball ist die schönste Nebensache der Welt. Gibt es etwas, was Ihnen wirklich Sorgen bereitet?

Ja. Der Graben zwischen den Menschen wird durch die Pandemie immer tiefer. Die Fronten sind verhärtet, der Ton wird immer rauer. Die Frage, ob sich unserer Gesellschaft spaltet, treibt ja viele von uns um. Mich und meine Familie, meine Freunde und meine Geschäftspartner. Das weiß ich aus vielen Gesprächen. Wir dürfen die Bereitschaft auch zu kontroversen Gesprächen nicht verlieren. Aber lasst uns anständig miteinander umgehen.

Herr Schiller, herzlichen Dank für das Gespräch.

Quelle: DENTAGEN Info 2022/01