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Das Interview mit Dr. Martin Sandmann

DENTAGEN INFO 2020/03


Wie kommt einer, der überlegt hatte, vielleicht Förster zu werden, dann Agrarwissenschaft studierte, um sich im Studium bei der Promotion und in der Forschung der Bioanalytik zuzuwenden, in die Dentalbranche? Über seinen interessanten Berufsweg, über die bemerkenswert zügige Neuaufstellung eines führenden Handels- und Dienstleistungsunternehmens im deutschen Dentalmarkt, über persönliche Gespräche mit verunsicherten Mitarbeitern, über die überraschende Reaktion vieler Kunden des Traditionshauses, über die Praxis- und Laborlandschaft mit und nach Corona, über irritierte Blicke, wenn er an seinem Arbeitsplatz in Dortmund sagt, ein Borussenfan zu sein – darüber und vieles mehr sprach Journalist Bernd Overwien für „DENTAGEN INFO“ mit Dr. Martin Sandmann, stellvertretender Vertriebsleiter der Region West-Mitte der Pluradent GmbH.

Herr Dr. Sandmann, als Sie am 1. August 2020 wach geworden sind, was waren Ihre ersten Gedanken?

Wir sind aufgestanden. Im wahrsten Sinne des Wortes. Eine neue Zeit­rechnung in einem Unternehmen mit tiefen historischen Wurzeln hatte begonnen.

Pluradent war das älteste Familien­unternehmen dieser Größenordnung im Dentalmarkt. Was markiert den Neuanfang?

Die bilanzielle Entschuldung des Dentalhändlers Pluradent und die Aufhebung des Insolvenzverfahrens in Eigenverantwortung für Pluradent und die GLS Logistik. Beide Unternehmen bleiben als sanierte Rechtsträger erhalten.

Hinter diesen zwei Sätzen in nüchterner Juristensprache verbirgt sich offenbar eine spannende Zeit. Eine dramatische sogar?

Aus Sicht von Betriebswirten und Analytikern sicherlich spannend, aus dem Blickwinkel vieler Menschen fraglos dramatisch. Wir starten jetzt mit 550 Mitar­beitern ein neues, nachhaltiges Geschäfts­modell zusammen mit der Deutschen Mittelstandsholding als neuem Eigentümer. Vor dem 25. Februar 2020 waren es noch ca. 250 Menschen mehr, die im Unternehmen gearbeitet haben. Ein Prozess, der mit vielen menschlichen Schicksalen verbunden ist.

Wie haben denn Ihre Mitarbeiter reagiert, als sich die Schlagzeilen nach dem Jahreswechsel überschlugen?

Natürlich gab es eine große Verun­siche­rung. Die Sorge um den Arbeits­platz war verständlich groß. In dieser Situation war es wichtig, die eigenen Mitar­beiter in den Fokus zu stellen. In vielen Einzelgesprächen ist für das tragfähige Zukunftsprojekt geworben worden. Um es vorweg zu nehmen: als abzusehen war, dass die anvisierte Zeitachse für die Umstruk­turierung eingehalten werden konnte, nahm auch die Zuversicht der Teams zu.

Kurze Rückblende: Was war Ende Februar passiert? Die Unternehmens­spitze unter Pluradent-Vorstand Karsten Hemmer und GLS Logistik-Geschäftsführer Michael Herdt, die auch heute die Verantwortung tragen, hatte die Reißleine gezogen?

Sagen wir, auf die Notbremse getreten. Die Zahlungsunfähigkeit des Unter­nehmens stand kurz bevor. Die eigenverantwortliche Insolvenz ist ja das Resultat eines ganzen Bündels von Überlegungen gewesen. In welche Richtung investieren wir in einem sich rasant wandelnden Dental­markt? Wie stellen wir uns auf, um nachhaltig am Markt zu bleiben? Die Antworten liegen jetzt auf dem Tisch, nach einer nur viermonatigen Neuorientierung. Die verantwortlichen Sachwalter, der Vorstand, alle Entscheider haben einen tollen Job gemacht. Allen voran die Mitarbeiter, die sich als Teamworker letztendlich gesagt haben: Wir lassen uns nicht unterkriegen!

Haben Sie dennoch die eine oder andere schlaflose Nacht gehabt?

Für mich persönlich eher nicht. Wohl aber in Kenntnis der Tatsache, dass Handlungsfähigkeit nur durch schlankere Strukturen würde erreicht werden können. Wenn Strukturen wegbrechen – und das von Region zu Region unterschiedlich – können Sie beispielsweise nicht alle Innendienstler halten.



Wie haben Sie Ihre Kunden in dieser schwierigen Zeit erlebt?

Das war beeindruckend. Wir sind mit unserer Situation und unseren Ab­sichten sehr offen umgegangen. Aufgrund der starken Kundenbindung haben wir jeden einzelnen Kunden, ganz unabhängig von der Größe, persönlich informiert. Für mich hat sich da einmal mehr bestätigt: die digitale Welt ist wichtig, aber das persönliche Gespräch darf man nicht unterschätzen. Es war ja in der schwierigen Zeit – Corona kam ja erst noch hinzu – wichtig zu erkennen, wie viele Praxen und Labore Flagge gezeigt haben und uns bis heute die Stange gehalten haben.

Darf davon ausgegangen werden, dass Ihre Mitbewerber in dieser Phase nicht untätig geblieben sind?

Natürlich sind unsere Kunden von manchem Mitbewerber geradezu torpediert worden. Was nicht immer nett und fein war. Und natürlich haben wir regional den einen oder anderen Kunden verloren, aber unter dem Strich haben wir uns mehr als wacker geschlagen. Die überwiegende Mehrheit ist uns treu geblieben.

Aus einer historisch gewachsenen guten Erfahrung oder weil das neue Konzept überzeugend rüberkam?

Beides. Neben einer umfassenden Beratung werden Digitalangebote, War­tung und Service ausgebaut. Das Un­ternehmen verfügt neben einer soliden wirtschaftlichen Basis über ein eingespieltes Team erfahrener Fachberater und Techniker. Verlässlichkeit ist durch nichts zu ersetzen.

Dass wir dieses Gespräch in Dortmund führen, hat ja einen besonderen Hintergrund. Ihr Haus ist ein Partnerunter­nehmen der DENTAGEN eG….

… was wir sehr gern sind und der größte Wirtschaftsverbund der Zahntechnik wird von Waltrop aus gelenkt, quasi Stadt­grenze Dortmund.

Meine Geburtsstadt im Übrigen. Aber wie lässt sich die Region West-Mitte, für die Sie die Verantwortung tragen, eingrenzen?

Das reicht von Kassel bis Bornheim, dann von Bonn Richtung Niederrhein, natürlich das Ruhrgebiet mit Dortmund und hinauf bis nach Osnabrück, wo sich unser Hauptsitz befindet.

Ihre Einschätzung, wird es durch Corona oder dann nach Corona weniger Arztpraxen und Dentallabore auch in der Region West-Mitte geben?

Ja, davon gehe ich aus. Für alle Berufs­gruppen gilt: Wer vorher schon schwach war, wird das wohl nicht überleben. Im Bereich der Dentallabore gab es ja schon vor der Pandemie einen schmerzhaften Anpassungsprozess. Labore, die mit nur drei oder vier Zahnärzten zusammenarbeiten, befanden sich schon immer in einem Risiko­bereich.
Es gibt ältere Zahnärztinnen und Zahnärzte die sorgen sich nach wie vor um ihre eigene Gesundheit, um die Gesundheit ihrer Mitar­beiter. Und die Patienten kommen nur zögernd zurück, haben Angst, sich bei Behandlungen ohne eigenen Mundschutz infizieren zu können. Dabei sind Zahnarzt­praxen schon seit je her die Hygieneexperten schlechthin.

Gehen Sie in diesen Zeiten zum Zahnarzt oder schieben Sie Behandlung und Prophylaxe auf?

Ich gehe wieder. Auch zur professionellen Zahn­reinigung. Aber ich gebe zu, mich in der großen Covid-19-Unsicherheit auch zurückgehalten zu haben.

Haben Sie als Unternehmen versucht, Einfluss auf Ihre zahnärztlichen Kunden und damit auch der Labore zu nehmen?

Wir haben in den vielen Einzelge­sprächen unsere Kunden ermuntert, proaktiv auf ihre Patienten zuzugehen. Zu sagen: Wir kennen uns aus mit Hygiene. Weil wir uns so abhängig von den asiatischen Märkten gemacht haben, fehlte es in den Praxen im März/April natürlich an Schutz­kleidung. Wir haben uns da eingebracht, versucht, aus anderen Quellen an Plexiglas­schutz, Mund- und Nasenschutz­masken und Desinfektionsmittel zu kommen. Es ging um die Frage: Wie kommen wir gemeinsam aus der Krise?

Die ganze Branche hat im April/Mai Materialeinbrüche um 50 Prozent gehabt. Stimmt die Zahl?

Meines Erachtens ja. Ich denke, das ist noch relativ positiv bewertet.

Hat Sie die schwierige Liefersituation nicht zusätzlich getroffen in der Phase der Neustrukturierung?

Ehrlich gesagt – im Verhältnis gesehen nein. Weil wir alle staatlichen Instru­mente auch nutzen konnten, die Kurzarbeit-Phase bei uns später einsetzte, was vielen Mitarbeitern geholfen hat, haben wir weniger Umsatzverluste gemacht, als manche erwartet haben.

Wir haben über die Situation der Dentallabore gesprochen. Welchen Stellenwert hat für Sie da ein Wirtschaftsverbund wie die DENTAGEN eG?

Also, das ist die Chance auch für kleine und mittlere Betriebe, ihre Existenz zu organisieren. Wer sich das Angebot der DENTAGEN weit über den Einkauf genau ansieht, der kann seine eigene Überlebens­strategie mit den zur Verfügung stehenden Instrumenten komplett entwickeln. Und DENTAGEN ist äußerst flexibel. Bei Problem­stellungen gibt es immer schnell eine Lösung. Für uns komfortabel, dass wir in ein paar Minuten von Dortmund in Waltrop sind. Das persönliche Gespräch ist mir immer wertvoll.

Ihr Vater war in Paderborn Chefarzt der Kinderklinik. Nie darüber nachgedacht, in diese Fußstapfen zu treten?

Mein älterer Bruder ist Arzt, meine jüngere Schwester Lehrerin, ich war den Naturwissenschaften zugeneigt. Als ich nach der Promotion in der Forschung war, kam überraschend das Angebot, in den wissenschaftlichen Außendienst eines Industrieunternehmens zu gehen. Die suchten promovierte Leute aus der Bioanalytik, die auch beim Thema Pflanzenzüchtung auf Augenhöhe mit Kunden wie Max-Planck-Institute, Frauenhofer-Institute, aber auch Industrieunternehmen wie Hoechst, Bayer oder BASF kommunizieren konnten. Das war mein Start vor 31 Jahren.

Und wie sind Sie dann in die Dental-Welt eingestiegen?

Es gab interessante Angebote von Dentalunternehmen im Münchener Raum, wo ich damals gelebt habe. Sirona hatte mir den Einstieg angeboten. Was dann folgte, wäre ein dickes Kapitel Dentalmarkt-Historie. Das würde hier zu weit führen.

Wenn man vom Außendienst in das mittlere Management wechselt, in Verkaufsleitung und Vertriebsleitung. Dann ist das ja noch mal eine andere Welt?

Ist es. Nach mehrjähriger Vertriebs­tätigkeit für Henry Schein war ich zehn Jahre bei NWD, verantwortlich für den Niederrhein, das Ruhrgebiet, Mönchen­gladbach und Aachen. Da haben wir als Familie mit zwei Töchtern und einem Sohn, die heute allesamt Erwachsene sind, den Umzug von München Richtung Düsseldorf vollzogen. Wir leben seitdem zwischen Düsseldorf und Mönchengladbach.

Düsseldorf, Mönchengladbach und den Arbeitsplatz in Dortmund. Geht das ohne Fußball?

Nein. Wenn ich gefragt werde, welche Vereinsfarben, dann oute ich mich als Borussenfan.

Dann ist die Dortmunder Seele doch gestreichelt oder?

(lacht) Borussia ja, aber Mönchengladbach.

…Autsch.

Herr Dr. Sandmann, herzlichen Dank für das Gespräch.

Quelle: DENTAGEN Info 2020/03