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Das Interview mit Prof. Dr. Theresia Theurl

DENTAGEN Info 2019/02


Als Professorin liebt auch sie volle Hörsäle. Aber ihre 8.15 Uhr-Vorlesung können Studentinnen und Studenten auch im Bett verfolgen. Warum sie ihre Vorlesungen streamen lässt, wie sich die Vorstellungen der jungen Akademiker-Generation in Fragen der Lebensgestaltung ändern, warum auch gerade junge Medizinstudentinnen und -studenten ein Faible für „Schwarmintelligenz“ haben – und deshalb einen offeneren Zugang zum Genossenschaftsgedanken –, warum die Kassenärztlichen Vereinigungen diesbezüglich ihre Zulassungspolitik ändern sollten? Über diese und andere Fragen, über ihre Sorge um Europa und auch ihren familiären Hintergrund in Österreich, sprach Journalist Bernd Overwien für DENTAGEN INFO mit Prof. Dr. Theresia Theurl. Die Universitätsprofessorin für Volkswirtschaftslehre und Geschäftsführende Direktorin des Instituts für Genossenschaftswesen an der Westfälischen Wilhelms-Universität in Münster gilt als profundeste Expertin der Erforschung des Genossenschaftswesens.

Frau Professorin Theurl, als Salzburgerin haben Sie Ihren beruflichen Mittelpunkt seit 19 Jahren in Münster. Wie gefällt es Ihnen?

Ein bisschen flach. Nein, wirklich. Es hat seine Reize, aber ich liebe natürlich auch die Berge.

Sind Sie eine Pendlerin?

Ja, mein Mann lehrt an der Universität Innsbruck, da bin ich natürlich so viel wie möglich in meiner österreichischen Heimat. Bergsteigen, Skifahren – man wird in den Alpen sportlich anders groß.

Haben Sie ein Fahrrad?

(lacht) Natürlich habe ich hier in Münster ein Fahrrad. Das wäre ja was. Aber ich wohne so zentral, dass ich ehrlicherweise im Berufsalltag auch alles zu Fuß erreichen kann. Die große Freizeit-Radlerin bin ich nicht.

Ihre Vorlesungen lassen Sie live streamen. Lieben Sie keine vollen Hörsäle?

Doch. Sehr sogar. Aber wenn man mit den jungen Leuten gut zusammenarbeiten will, muss man sich auf sie einlassen. Ich kann meine Vorlesungen heute nicht mehr so halten wie vor zehn Jahren. Ich muss die Technologie von heute anwenden, ich muss meinen Kommunikationsstil eben kontinuierlich ändern, um nicht antiquiert herüber zu kommen.

Was genau bieten Sie denn der „Smartphone-Generation Z“ an?

Junge Leute jonglieren heute professionell mit verschiedensten Medien. Ich zeichne jede meiner Vorlesungen auf. Die Videos stehen im Uni-Netz immer zur Verfü­gung. Ich lasse meine Vorlesungen streamen. Ich beginne um 8.15 Uhr, das können Studierende dann sogar im Bett verfolgen.

Und wie sind die Resultate bei den Klausuren?

Sie werden nicht schlechter. Auch die Seminararbeiten können sich sehen lassen. Der Vorteil ist doch die permanente Zugriffsmöglichkeit, das ist eine Verbesserung der Studienbedingungen. Studierende haben permanent die Möglichkeit, meine Themen zu hinterfragen. Das tun sie auch. Geben Input. Ich bleibe im Dialog. Das hält mich jung.

Erspüren Sie gesellschaftliche Veränderungen zuerst bei ihren jüngeren Studierenden?

Ja. Sie argumentieren anders, diskutieren anders, denen sind andere Dinge wichtiger als mir früher in dem Alter. Das ist faszinierend. Das macht Professorin zu einem wunderbaren Beruf. Ich mache ja auch Wissenschaftsmanagement, in dem ich einen Fachbereich mit 6000 Studierenden leite. Die Studierenden kommen mit Vorschlägen, sie haben ein anderes Problembewusstsein.

Also, Sie verlieren den Kontakt nicht, weil Sie das Internet nutzen?

Nein. Ganz und gar nicht. Es gibt Themen, da kann man die jungen Leute gut allein lassen, wiederum bei anderen Themen suchen sie Beratung und Unterstützung. Das ist ein effizienter Dialog.

Sie haben ja auch einen guten Blick auf Medizinstudenten. Was verändert sich da?

Die Vorstellungen von Lebensgestaltung. Da geht es schon sehr früh um die finanziellen Risiken einer Selbstständigkeit. Eine Einzelpraxis ist bei den Studieren­den mit der Bereitschaft zur Selbstausbeutung verbunden. Das ist keine Perspektive. Mit Konsequenzen für den Kreis der Menschen, die nicht nur auf dem Land, sondern auch in strukturschwachen Städten mit Gesundheitsleistungen versorgt werden wollen.

Wie sehr spielt die Tatsache eine Rolle, dass junge Frauen die Mehrheit beispielsweise in der Zahnmedizin bilden?

Eine große Rolle. Allein das Thema Familienplanung. Wer nur 75 oder auch nur 50 Prozent tätig sein möchte, der ist aufgeschlossen für Möglichkeiten, sich mit anderen zusammen zu tun und Gesundheitsleistungen gemeinsam anzubieten. Und hier bin ich bei der Genossenschaft. Die bietet den Vorteil, selbstverantwortlich auf einer gesicherten rechtlichen Grundlage agieren zu können. Ärztegenossenschaften oder der Beitritt zu bereits existierenden Genossenschaften im Gesundheitswesen haben Zukunft. Davon bin ich zutiefst überzeugt.

Was stimmt Sie da so optimistisch?

Die Kassenärztlichen Vereinigungen werden die Genossenschaften auf ihr Radar bekommen. Gründungsprojekte scheitern bisher, weil sich die KVen dagegen sperren. Ärzte haben die Sorge, in einen bürokratischen Prozess zu kommen. Und wenn Genossenschaften von den KVen wie eine GmbH behandelt werden, kommt die persönliche Haftung ins Spiel. Bundesgesundheitsminister Spahn hat bereits politischen Druck signalisiert. Die Versicherungslösungen im Genossenschaftswesen sind genau so viel wert, wie die persönliche Haftung. Das muss verstanden werden.

Sonst überlässt man das Feld privaten Kapitalgesellschaften?

Möglich. Aber nicht erstrebenswert oder? Warum sollten nicht Bürger zusammen mit der Kommune Mitglieder einer Gesundheitsgenossenschaft sein? Dagegen spricht nichts.

Wer könnte einen solchen Vorgang inszenieren und moderieren?

Moderator könnten Bürgermeister oder auch Landräte in Bereichen sein, in denen beispielsweise akuter Hausärztemangel herrscht. Da gibt es viele Beispiele auch im Münsterland. Man kann doch über Mitgliederstrukturen von Genossenschaften innovativ nachdenken.

Alles weit weg von den Studierenden heute?

Nein. Im Gegensteil. Die Jungen von heute haben einen sehr unkomplizierten Zugang zu Genossenschaften, um nicht zu sagen, sie sind begeistert davon. Sie entwickeln ein Lebensgefühl für Communitys. Sie möchten mit anderen zusammenarbeiten und nicht Investoren glücklich machen. Sie sprechen über den Sinn des Tuns. Das Thema Nummer 1 ist Schwarmintelligenz. Ein Schwarm Menschen ist intelligenter als eine Einzelperson.

Eine Genossenschaft ist ein Schwarm Menschen. Ist das eine Profilierungschance?


Ja, das ist es. Wir müssen viel stärker Genossenschaft erklären. Genossenschaften haben kein angestaubtes Image bei jungen Leuten. Das ist älteren Generationen vorbehalten. Nehmen sie beispielsweise den jährlichen Partnertreff der DENTAGEN eG. Kolleginnen und Kollegen unterhalten sich, stellen fest, der andere hat ähnliche Fragen, der andere hat diese für sein Dentallabor bereits beantwortet. Deshalb ist eine Genossenschaft eine ideale Plattform für Schwarmintelligenz. Sie müssen es bei jungen Menschen einfach nur rüberbringen.

Ihre beruflichen Stationen belegen, dass Sie Europäerin sind. Machen Sie sich Sorgen um Europa?

Ja und nein. Eigentlich bin ich ein optimistischer Mensch. Europa ist größer als die Europäische Union. Die EU ist im Prinzip nichts anderes als eine Genossenschaft. Staaten sind dort die Mitglieder. Unterschiedliche Interessen gehören zu einer Gemeinschaft. Aber es muss die Bereitschaft zu Kompromissen vorhanden sein. Diese ewige Nörgelei untereinander, aneinander. Auch Staaten stehen als Mitglieder einer Gemeinschaft in der Verantwortung, Lösungen zu finden. Und zwar möglichst aktuell. Und riskieren wir doch den Diskurs darüber, wo wollen wir mit Europa überhaupt hin? Mir fehlen Visionen und eine Diskussion darüber!

Sie sind auf so vielen Feldern unterwegs, bleibt da Zeit für Hobbys? Für die Salzburger Festspiele?

Ich höre sehr gern klassische Musik. Da bin ich in Salzburg bestens aufgehoben. Und ich lese sehr gern. Klassiker. Die großen Russen oder auch Hemingway. Wer reist, hat auch Zeit zum Lesen.

Sind Sie in einer akademischen Familie groß geworden?

Nein. Ich stamme aus einer Nebenerwerbslandwirtschaft. Ich bin die Älteste von sechs Geschwistern, mein jüngster Bruder ist der Bauer. Ich komme aus keinem elitären Umfeld. Das hat mir keinesfalls geschadet und mir genügend Bodenhaftung bewahrt.

Frau Professorin Theurl, herzlichen Dank für das Gespräch.

Quelle: DENTAGEN Info 2019/02