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Interview: Michaela Flussfisch

DENTAGEN Info 2018/01

„Wenn zwei große Schiffe aufeinander zufahren, wird die Fahrrinne auch mal frei für einen 505er-Segler. Der ist schnell, wendig und sehr lebhaft.“ Für einen guten Schnack ist Michaela Flussfisch (54) immer zu haben. Denn Kundennähe, Flexibilität und das Gespür, im richtigen Moment das Richtige zu tun, hat sich für das traditions­reiche Hamburger Familienunternehmen als Überlebensstrategie erwiesen. Über die Loslösung von Wieland Dental nach 60 Jahren enger Verbundenheit, über den Aufbau einer eigenen, erfolgreichen Produktlinie, über die besonderen Anforderungen an eine Frau im dentalen Haifischbecken, über ihre eigenen „Ich-bin-dann-mal-weg“-Pläne und über die Gelassenheit, das Unternehmen in die vielleicht 4. Generation zu führen, sprach Journalist Bernd Overwien für DENTAGEN INFO mit der Unternehmerin und Mutter von zwei Kindern in Hamburg.

Innovationen, Know-how, Plus an Service – alles zeitgerechte Marketingbegriffe. Und dennoch ziert Flussfisch ein über 100 Jahre altes Firmenlogo. Wie geht das zusammen?

Gut geht das zusammen. Mein Großvater, der unser Familienunter­nehmen 1911 gründete, hat noch Gold aus der eigenen Schmiede verkauft. Mit Erfolg. Nie vergessen, woher man kommt. Das Logo erinnert uns jeden Tag daran. Warum sollten wir das ändern? Traditionsbewusstsein bremst doch Innovationskraft nicht. Schauen Sie sich bei uns doch mal um.

60 Jahre war Flussfisch mit Wieland in enger Verbundenheit. Wie dick war das Tau zwischen Hamburg und Pforzheim?

Stärker als das dickste Schiffstau. Wir Mädels zu Hause sagten zum damaligen Geschäftsführer Herrn Genal eigentlich nur Onkel. Ich habe meine Ausbildung zur Industriekauffrau bei Wieland gemacht. Hier kannte Wieland gar keiner. Flussfisch war das Wieland des Nordens.

Ein Hamburger Großstadtmädchen geht nach dem Abitur 1983 ins beschauliche Pforzheim. War das nicht – freundlich formuliert – gewöhnungsbedürftig?

Wissen Sie was das Schlimmste war? Ich habe die da erst gar nicht verstanden. Diese schwäbische Mundart. Und dann kamen noch die Blicke der neuen Kollegin­nen und Kollegen dazu: Die da aus Hamburg, mit Vitamin B bei Wieland angeheuert. Aber da muss man durch. Ich bin da ein gutes Stück erwachsen geworden.

Es wird ja viel über moderne Unter­nehmensführung philosophiert. Es scheint ja mehr Coaches zu geben als Führungskräfte. Wo stehen Sie da?

Wenn Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter stark beschäftigt sind, gehe ich natürlich auch ans Telefon. „Oha die Chefin persönlich“, heißt es dann am anderen Ende der Leitung. Wissen Sie, was mir noch neulich passiert ist? Da fragt tatsächlich jemand, ob ich aus dem Schwabenländle bin. Hätte ich nicht gedacht, dass das jemand nach so vielen Jahren hören würde… Was wollten Sie noch mal wissen….(lacht)?

Wenn Entscheidungen getroffen werden, wie 2008, als Ihr Unternehmen in die innovative Lasertechnik einstieg, wer trifft die dann?

Wir sind ein Team mit 17 Köpfen. Die stecken wir zusammen. Und am Ende habe ich die Entscheidung zu treffen. Mit dem Verfahren zur weitestgehend automatisierten und kostengünstigen Fertigung von Kronen- und Brückengerüsten aus Nichtedelmetallen haben wir unseren Kunden eine entscheidende Tür geöffnet. Die mit modernster CAD/CAM- und Lasertechnik bei uns in Hamburg hergestellten 3D-Kompo­nenten finden deutschlandweit große Anerkennung und gelten als qualitative Referenz. Also: richtig entschieden.

Die Loslösung von Wieland Dental. Ging da nicht eine große Tür für Sie zu?

Und eine neue Tür ging auf. Wenn es auf einem Weg, den man so lange beschritten hat, nicht weitergeht, muss man einen neuen pflastern. Die Konsequenz waren 2011 Dentallegierungen, Galvano­bäder und CAD/CAM-Produkte unter der eigenen Marke Flussfisch. Wir haben die Kern­bereiche unter einem Dach vereint. Die Herstellung und der Vertrieb von Medizinpro­dukten – insbesondere eben Dentallegierungen, Fräsrohlingen, Galvanobädern und Frässysteme –, die Herstellung von zahntechnischen CAD/CAM- und CAD+GUSS-Gerüsten, sowie Schulungen, Trainings- und Workshops in unserem Dentalforum. Dazu könnte ich noch viel mehr sagen, aber so viel Platz haben Sie sicher in der DENTAGEN INFO gar nicht.

Sie haben einmal gesagt, wenn die Industrie mit sich selbst beschäftigt ist, beschäftigen wir uns mit unseren Kunden. Für den Satz hätten Sie einen Orden verdient, aber Hamburger nehmen ja immer noch keine an. Oder doch?

(lacht) Nein, tun wir immer noch nicht. Aber was ich damit sagen wollte: „Persönlicher Service für höchste Zufriedenheit unserer Kunden“ – dieser Leitgedanke wurde bereits 1911 von meinem Großvater definiert. Darin sind wir bis auf den Tag fest verankert. Nah dran zu sein, bedeutet auch zuhören zu können. Wir haben unserer Kundschaft viele Beiträge zu wichtigen Unternehmensentscheidungen zu verdanken. Wir geben es mit höchster Beratungskompetenz zurück. Zahntechniker sollten mehr Selbstbewusstsein haben. Sie machen erstklassige Arbeit. Und dafür stünde ihnen auch eine erstklassige Honorierung zu.

Was sagen Sie als Hamburgerin zur Elbphilharmonie?

Die Stadt ist bollestolz auf ihre Elphi. Ich auch. Egal was sie gekostet hat, sie bringt unzählige Menschen nach Hamburg. Sie wird sich bezahlt machen. Ein wunderbarer Bau auf historischem Grund. Ach, ich bin begeistert.

Ihr Lieblingslokal in Hamburg?

Hummer Pedersen in der Große Elbstraße.

Sie sind jetzt seit 25 Jahren Chefin eines inhabergeführten Unternehmens. Ehefrau und Mutter nicht zu unterschlagen. Ist jetzt der Zeitpunkt, mal über „Ich-bin-dann-mal-weg“ nachzudenken?

Ja. So gut wie wir aufgestellt sind, möchte ich mir jetzt selbst ein paar Wünsche erfüllen. Ich möchte mit dem Fahrrad von Tschechien die Elbe entlang fahren. Über Dresden, Magdeburg bis Hamburg – vielleicht sogar bis Cuxhaven an der Nordseemündung. Über 1000 Kilometer, zwei Monate Auszeit, weil…

… von einer Frau an der Spitze eines Unternehmens immer mehr verlangt wird als von einem Mann?

Das ist nach wie vor so. Ich kann mir nur wünschen, dass es mehr taffe Frauen gibt, die die Chance bekommen oder auch selbst ergreifen, unternehmerisch tätig zu sein, Verantwortung zu übernehmen. Ich habe den doppelten Druck fast immer gespürt, deshalb freue ich mich auch, den Kopf nun mal richtig frei zu bekommen.

Um über die Zukunft Ihres Unternehmens nachzudenken?

Ja, natürlich auch. Aber auch für mich ganz persönlich. Ich werde mir die Zeit dafür exklusiv nehmen. Einmal ganz allein die Elbe entlang radeln …

Ihre Tochter Charleen (22) und Ihr Sohn Tim-Frederic (27) sind ja auch in der Firma. Die 4. Generation Flussfisch nach Michael, Sylvester und Michaela Flussfisch?

Das sehen wir in der Familie ganz entspannt. Beide machen sich mit dem Unternehmen vertraut. Ich bin 1985 in die Firma meines Vaters gekommen und mit allgemeinen Aufgaben betraut worden, wie es so schön hieß. Bedeutet nichts anderes, als von der Pike auf alles zu lernen, was Flussfisch ausmacht. Hat nicht geschadet. Sich krampfhaft in die 4. Generation zu zwingen, bringt gar nichts. Haben unsere Kinder die Kompetenz und vor allem die Freude daran, das Unternehmen weiterzuführen – bitte schön! Und ich kann mir dann vielleicht mehr als einen kleinen Wunsch im Jahr erfüllen.

Welchen?

Ich würde so gern mal nach Südafrika. Und die Victoriafälle in Simbabwe und Sambia sehen. Waren Sie schon mal da?

Nein, würde ich aber auch gern hin.

Frau Flussfisch, herzlichen Dank für das Gespräch.

Quelle: DENTAGEN Info 2018/01