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Das Interview: Christoph Haßel-Puhl

DENTAGEN Info 2018/03



Wie kommt ein Verein, der Menschen mit Behinderung in der Region Waltrop seit Jahrzehnten eine wichtige Lebenshilfe ist, unter das Dach der DENTAGEN? Über eine langfristig angelegte Partnerschaft, die über ein normales Mietverhältnis hinaus geht, über das Sahneteilchen Zechenpark Waltrop, vielfältige Angebote für Menschen mit Behinderungen, über schwierige Zahnarztbesuche, über die Vorfreude einer großen Belegschaft auf den Umzug und einen besonderen Fußballclub, dessen Fan er ist, sprach Journalist Bernd Overwien für DENTAGEN INFO mit Christoph Haßel-Puhl (57), Sozialpädagoge und Vorstand der Lebenshilfe e.V.

Herr Haßel-Puhl, ein Blick auf Ihre Vita und der Schluss liegt nahe, die Lebenshilfe ist Ihr Leben?

Ja, ein Stück weit natürlich. Ich bin seit 28 Jahren dabei, war 1986 als Mitarbeiter des Jugendamtes Waltrop quasi Gründungsmitglied. Wir haben uns damals schon aktiv um einen integrativen Ferienspaß für Menschen mit und ohne Behinderung gekümmert. Schon als Student der Sonderpädagogik wurde mir klar: Es gibt für Menschen mit Behinderung kein kontinuierliches Freizeitangebot über das Jahr hinweg. Wir haben eine Studenteninitiative gegründet und ein erstes Freizeitangebot in Waltrop aufgebaut. Darüber ist der Kontakt zur Lebenshilfe entstanden. 1990 wurde ich dann der erste hauptamtliche Mitarbeiter des Vereins.

Aber ein Privatleben gibt es auch?

Ah, ich dachte, das kommt später. Ja, sicher. Ich bin verheiratet, habe drei Kinder im Alter von 36, 24 und 21 Jahren und schon drei Enkel. Wir versuchen immer, so viel wie möglich mit der ganzen Familie zu unternehmen. Sie glauben gar nicht, was drei Enkel für einen Spaß machen. Ich könnte Ihnen Geschichten erzählen…

Wie waren die Anfänge des Vereins?

Angefangen habe ich mit zwei Zivis, heute sind wir 498 Mitarbeiter. 280 von ihnen in einem sozialversicherungspflichtigen Arbeitsverhältnis, 35 junge Menschen, die ein freiwilliges soziales Jahr bei uns machen, Studenten arbeiten bei uns ehrenamtlich und bekommen Aufwandsentschädigung, es gibt Mini-Jobber. Wie auch immer, wir sind 498 Köpfe.

Wer und was ist der Verein Lebenshilfe?

Die Lebenshilfe ist Deutschlands größter Fachverband für Menschen mit geistiger Behinderung. Es gibt 530 Ortsvereine, so wie uns hier, eine Bundesvereinigung und 16 Landesverbände. Die Zuständigkeiten sind aber örtlich. Es geht nämlich immer um das Wohl der Menschen mit geistiger Behinderung, z. B. Frühförderung im Kindergartenalter, die Lebenshilfe betreibt Schulen. Wohnen ist ein ganz großes Thema bei uns. Mit 31 Jahren sind wir in Waltrop noch einer der jüngeren Lebenshilfe-Vereine. Zu unserem Einzugsgebiet gehören die Lebenshilfe in Castrop-Rauxel, Datteln und Oer-Erkenschwick. Unser Anspruch sind vielfältige Angebote für Menschen mit geistiger Behinderung, die in ihrer Art, ihrem Umfang und in ihrer Qualität über gewöhnliche Standards hinaus gehen.

Wie wichtig ist die Kooperation mit den Eltern, den Familien der behinderten Menschen?

Ganz wichtig. Ich nenne nur ein Beispiel: Eltern, deren Kinder gemeinsam in eine Förderschule gingen, fragten sich, warum ihre Kinder nach der langen gemeinsamen Schulzeit nicht auch gemeinsam in einer Wohngemeinschaft leben könnten? Genau das war eines der Gründungsziele des Vereins Lebenshilfe. Allerdings ist es uns erst viele Jahre später gelungen, eine solche Wohnstätte realisieren zu können. Das Thema gemeinsames Wohnen steht auch für die Zukunft ganz oben auf unserer Agenda.


Begleiten Sie Menschen mit Behinderung beispielsweise zum Zahnarzt?

Ja, das machen wir auf Wunsch natürlich auch. Es gibt Zahnärzte, die sich spezialisiert haben. Die wissen, wie mit Menschen mit Behinderung umzugehen ist. Es gibt darunter gottlob auch Zahnärzte, die diese Menschen von Kindheit an begleiten und da ist natürlich eine Vertrauensebene entstanden. Wenn dann aber ein Praxiswechsel vorgenommen werden muss, kann es schwierig werden. Behinderung ist ja nicht gleich Behinderung. Gerade bei Menschen mit geistiger Behinderung ist es häufig der Fall, dass eine zahnärztliche Behandlung nicht ohne weiteres möglich ist. Ihnen ist oftmals nicht klar zu machen, warum sie den Schmerz einer Zahnbehandlung auf sich nehmen müssen, weswegen sie die Behandlung dann verweigern.

Worin besteht die besondere Herausforderung eines Zahnarztteams bei der Behandlung von Menschen mit Behinderung – aus Ihrer Erfahrung?

Da gibt es ganz verschiedene Aspekte. Ganz sicher einen höheren Zeitaufwand bei der Ermittlung von Vorerkrankungen und der Versorgung selbst, dann die kleineren Behandlungsintervalle, der deutlich höhere Personalaufwand, oft notwendige medikamentöse Vorbehandlungen, oftmalige Behandlung in Allgemeinanästhesie und Sedation. Dann die besonderen Planungsgrundsätze, die nicht immer mit den Vorgaben der gesetzlichen Krankenkassen vereinbar sind. Aber die Umsetzung dieses Grundrechts für Menschen mit Behinderung darf absolut keine Frage von Finanzen sein.

Schon mal Berührung mit der Zahntechnik gehabt?

Nein, direkt nicht. DENTAGEN habe ich als Unternehmen auf einem Wirtschaftsempfang der Stadt Waltrop wahrgenommen. Zeitungsberichte über das Engagement der eG in Schulen gelesen, aber persönlich keine Kontakte. Bis dahin nicht.

Wie ist denn der neue partnerschaftliche Kontakt – es gab ja auch schon einen gemeinsamen Spatenstich – zustande gekommen?

Wir sind schon seit Jahren auf der Suche nach neuen Räumlichkeiten. Es gibt ja ein enormes Wachstum im Verein. Unsere heutige Geschäftsstelle umfasst 300 Quadratmeter. Mit Waltrops Bürgermeisterin Nicole Moenikes haben wir darüber gesprochen. Sie hat den Kontakt zu DENTAGEN hergestellt. Es passte vom ersten Augenblick an. Und so unähnlich sind wir ja auch gar nicht. Wir sind ein e.V. und haben Mitglieder, DENTAGEN eine eG mit ihren Mitgliedsbetrieben. Wir haben schon viele spannende Gespräche geführt. Es ist immer eine herzliche Atmosphäre. Ich war schon zweimal auf dem Partnertreff in Rösrath und konnte viele Gespräche führen.

Haben Sie Ihre Vorstellungen in die Neubau-Planungen einbringen können?

Ja, Frau Schulz präsentierte uns die Pläne, es war eben das richtige Konzept für uns. Wir hatten einen Bedarf von 1000 Quadratmetern. Jetzt sind es 200 mehr geworden, weil auch bei uns schon wieder was hinzugekommen ist. Wir konnten viel mit in die Planung einbringen, was unseren speziellen Aufgaben entspricht. Das war einmalig.

Wie gefällt Ihnen die Architektur des Neubaus?

Super. Tolles Gebäude. Gehe mehrmals die Woche dort mit unserem Hund spazieren und schau mir den Baufortschritt an.

…verzögert sich ein bisschen zu sehr?

Nein. Wie das am Bau so ist. Wir waren auf den 1. März eingestellt. Wenn es nun der 1. April wird … Hauptsache kein Aprilscherz (lacht).



Wie werden Sie die 1200 Quadratmeter im neuen DENTAGEN-Haus im Zechenpark nutzen?

Wir haben ja verschiedenste Angebote. Im Kern wird dort die komplette Verwaltung untergebracht sein. Des Weiteren Beratungsstellen, denn wir betreiben drei Kindergärten in Waltrop. Dazu der ambulante Dienst, das sind Angebote zur stundenweisen Familienentlastung. Denn es gibt Familien mit behinderten Menschen, die kaum mal Zeit zum Luft holen haben. Wir bieten einen Dienst an, der allein über 250 Familien betreut.

Der Standort im Zechenpark Waltrop ist auch für die Lebenshilfe attraktiv?

Das kann man wohl sagen. Ein Sahneteilchen. Die Zeche Waltrop war ja der kleinste, jüngste und schönste Pütt im Ruhrgebiet. Die Umzugsfreude ist in der gesamten Belegschaft recht groß. Arbeitsplätze werden modern ausgerichtet, schaffen eine besondere Arbeitsatmosphäre. Wir haben einen Innovationswettbewerb veranstaltet: Was gehört zu einem modernen Büro dazu? Die Antworten reichten von der Kinderbetreuung während der Arbeitszeit bis zur Tischtennisplatte auf der Dachterrasse.

Der Mietvertrag mit DENTAGEN läuft über 15 Jahre. Wie weit planen Sie?

Ganz sicher über die jetzt vereinbarte Mietvertragsdauer hinaus. In der Arbeit mit Menschen ist Stabilität ein wesentlicher Faktor. Deshalb ist es wichtig, gute Arbeitsperspektiven anzubieten. In der Arbeit mit Menschen mit Behinderung kann es kein Gehen und Kommen geben. Viele Mitarbeiter haben bei uns schon ihr 20-jähriges und 15-jähriges Berufsjubiläum gefeiert.

Hatten Sie nicht auch ein Tages-Cafe in dem Neubau geplant?

Ja, hätten wir so gerne gemacht, aber es ließ sich wirtschaftlich nicht darstellen. Unser Ziel ist es zwar nicht, Gewinn zu erzielen, aber wir sind in erster Linie unseren inhaltlichen Zielen verpflichtet. Da können wir kein Risiko eingehen.

Unerlässliche Frage: Fußball-Fan?

Ja, St. Pauli. Wenn Pauli mal hier spielt, in Bochum oder Duisburg, Paderborn oder Bielefeld, sind wir da. Pauli ist so eine besondere Geschichte. Die hatten auch schon sehr früh Menschen mit Behinderung im Blick. Pauli hatte als erster Profiverein eine Kabine für erblindete Menschen, wo ein speziell geschulter Kommentator Spiel und Stimmung rüberbrachte. Zudem saßen die blinden Fußballfans ja quasi mittendrin. Das hat mir imponiert. Auch, dass das Trainingslager von St. Pauli von einem Integrationsunternehmen gepflegt wird. Und dann die Fans! Bin gerne einer von ihnen. In der 1. Liga halte ich es – bis St. Pauli wieder aufsteigt – natürlich mit dem BVB. Was glauben Sie, was ich sonst hier bei Mitarbeitern und unseren behinderten Menschen zu hören bekommen würde?

Ich weiß. Von mir im Übrigen auch.

Herzlichen Dank für das Gespräch, Herr Haßel-Puhl.

Quelle: DENTAGEN Info 2018/03