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JENS MELZER & JULIAN LENZ

DENTAGEN INFO 2021/01

Das Unternehmen trägt den Namen eines Erfinders und Revolutionärs: Soennecken. Wieviel ist geblieben vom Pioniergeist jener Tage, als Aktenordner und Locher die Bürowelt veränderten? Über Innovationsfreude, über Kunden, die gleichzeitig die Besitzer sind, über Sortimentskompetenz, über noch nicht absehbare Marktveränderungen durch Corona-Homeoffice, über die Forcierung des Eigengeschäfts, über Genossenschaft als zukunftsfähiges Unternehmensmodell und auch über die Liebe von zwei Rheinländern zum „EffZe“ sprach Journalist Bernd Overwien für „DENTAGEN INFO“ mit Jens Melzer (37), Leiter Vertrieb und Einkauf, und mit Julian Lenz (34), verantwortlich für Direktgeschäft und neue Vertriebsformen bei Europas umsatzstärkster Marketingkooperation der Bürobedarfsbranche, der Soennecken eG.

Herr Melzer, wann hatten Sie zuletzt einen Aktenordner in der Hand?

Eben noch. Sie werden lachen. Aber das war Zufall. Natürlich ist es so, dass die Digitalisierung des Büros uns heute umtreibt. Wie voll waren die Schreibtische noch 1980. Auch mit persönlichen Dingen. Und heute? Handy, Laptop und vielleicht eine Sonnenbrille.

Herr Lenz, und Sie? Wann haben Sie zuletzt einen Locher betätigt?

Ich habe in meinem Büro fünf Akten­ordner, in denen die Verträge meiner Kunden ganz klassisch von A bis Z sortiert sind. Daneben steht tatsächlich auch ein Locher.

54 000 aktive Artikel. Gibt’s eigentlich noch Bleistifte bei Ihnen?

MELZER: Ja.

Verstehen Sie, dass mich das als Old School Büromensch beruhigt?

LENZ: Wir haben sogar eine sehr gute Auswahl an Bleistiften.

Ihr Unternehmen basierte Ende des 19. Jahrhunderts auf Erfindergeist. Was ist davon heute noch zu spüren?

MELZER: Soennecken ist ein stark zukunftsorientiertes Unternehmen. Der Geist von Friedrich Soennecken schwingt bei uns immer noch mit. Kreatives Denken und Innovationen haben einen hohen Stellenwert, andererseits aber auch die traditionellen Kaufmannswerte wie Kunden­orientierung, Zuverlässigkeit und Qualität. Wir versuchen auch heute noch mit Innova­tionen zu punkten. Das WorkLab oder die Logistik mit robotergestützem Autostore sind über die Branche hinaus etwas wirklich Besonderes. Und so geht’s weiter in die nächsten Jahre.

Wie sehr stehen Ihre rund 500 Mitgliedsbetriebe da im Fokus?

MELZER: Traditionell sehr stark. Die Eigentümer sind ja zeitgleich unsere Kunden. Das ist eine ganz besondere Beziehung. Das ist auch für unsere 530 Mitarbeiter eine ständige Herausforderung.

Warum Menschen bei Genossenschaft auf Knopfdruck entweder an einen Sack Saatgut oder an Honecker dachten, ist ja hinlänglich durchgekaut. Warum ist Genossenschaft ein Unternehmensmodell der Zukunft?

LENZ: Wir glauben an die Zukunft des Fachhandels. Und an die enorme Bindung, die ein Fachhandel hat, wenn er sich zusammenschließt. Stellen wir mal die Rechtsform hinten an.

MELZER: Der ursprüngliche Gedanke der Genossenschaft ist moderner denn je. Gemeinsam mit unseren Fach­händlern bündeln wir Kräfte und shared economy ist bei uns gelebter Alltag. Das ist überlebenswichtig im Wettbewerb mit international agierenden Wettbewerbern.

Wer wäre das?

LENZ: Amazon beispielsweise, wir suchen Chancen und nutzen diese, obwohl viele glauben, wir hätten gar keine.

Für wen sind Sie konkret da?

MELZER: Für jeden, klingt abgedroschen, ist aber so. Sei es über die optimale Versorgung der Läger oder die direkte Auslieferung an Endkunden unserer Mitglieder oder die Aktivitäten im Eigen­geschäft, wie z. B. unserem Ladengeschäft Ortloff in Köln oder im Großkundenbereich, in dem wir selbst große Konzerne beliefern.

Alles konzentriert auf den klassischen Bürofachhandel?

MELZER: Nicht alles. Sortimentskom­petenz wird immer wichtiger. Was sind sinnvolle Sortimente, die ebenfalls im Büro relevant sind? Da ist Soennecken auf Fachhändler gestoßen, die nicht aus dem klassischen Bürobedarf kommen…

LENZ: Werkzeug, Hygiene, Kaffee oder EDV-Zubehör – nur ein paar Beispiele.

MELZER: Die Frage der Sortiments­vielfalt wird zukünftig immer stärker in den Fokus rücken. Ein Büro ohne Lebens­mittel, ohne Hygieneartikel, ohne Arbeits­schutz oder auch Technikprodukte findet ja gar nicht mehr statt. Wir haben uns dazu viele Gedanken gemacht und unsere Entscheidungen haben sich bislang als richtig erwiesen. Aber es geht ja weiter. Sortimentserweiterung bedeutet auch das Werben um neue Kundengruppen.

Welchen Stellenwert hat dabei Ihr Eigengeschäft?

MELZER: Unser Eigengeschäft mit Ortloff im Einzelhandel ist für uns so etwas wie eine Blaupause für alle Händler, wie wir Prozesse besser gestalten und Kunden gewinnen und binden können. Mit der Übernahme der Nordanex, eine Verbundgruppe von IT-Systemhäusern, erschließen wir neue Kunden, bauen aber auch intern Netzwerke und Kompetenzen auf.

Wie radikal verändern Krisen den Markt für Sie?

MELZER: Nicht radikal. Wir haben das 2009 in der Finanzkrise gemerkt oder heute in der Corona-Pandemie, wo sich für ganze Branchen die Existenzfrage stellte und stellt. Das ist bei uns nicht der Fall. Wenn wir von Umsatzrückgängen sprechen, dann meinen wir Minus fünf oder maximal zehn Prozent.

Gibt es bei Ihnen keine Bereiche, die aktuell überproportional betroffen sind?

MELZER: Schon, z. B. der Bereich Büro­einrichtung. Es fehlt die Investitions­lust der Unternehmen. Das Geld für „gönn‘ ich mir schicke Büros für meine Mitarbeiter?“ ist schon da. Es stellt sich nur die Frage, für wie viele Mitarbeiter? Denn wie viele Mitarbeiter kommen nach Corona aus dem Homeoffice permanent zurück in die Büros? Wir sehen es ja bei Soennecken selbst. Wir werden zukünftig dieselbe Mitarbeiterzahl haben oder vielleicht noch mehr, aber ob die alle zeitgleich in Büros arbeiten müssen? Das glaube ich persönlich nicht.

Jens Melzer

Aber beantwortet sich die Frage nicht erst nach Corona?

MELZER: Jein, nur die Frage nach den vor Ort arbeitenden Kollegen. Nein in Bezug auf sich verändernde Umsätze. Der Trend beim Umsatz pro Büromitarbeiter geht bei Soennecken kontinuierlich zurück, das müssen wir über neue Sortimente kompensieren oder über Verdrängung von Markt­begleitern wachsen. Dazu braucht es eine Verdrängungsstrategie und das ist auch eine unserer Chancen.

Wie nehmen Sie Ihre Mitgliedsbetriebe da mit? Leistet Soennecken beispielsweise Hilfestellung, um beim E-Commerce erfolgreich zu sein?

MELZER: Wir bieten alles an, ob Online oder Offline. Wenn man mal in die Branche guckt – wir sind ein sehr personal­intensives Unternehmen, aber wir leisten auch unheimlich viel für die Händler. Sie können mit uns im E-Commerce erfolgreich sein, indem sie unsere technische Infra­struktur nutzen. Wir sind dann Infrastruk­turgeber mit unseren technischen Platt­for­men wie offenem Shop oder geschlossenem Procurement-System. Wir bieten umfang­reiche Unterstützung im Bereich Kunden­akquise und Kundenbindung durch ver­schiedene Vermarktungskonzepte oder unter­stützen unsere Mitglieder bei der Nutzung unserer Logistikkompetenz bis hin zur Aufgabe des eigenen Lagers. Eigentlich braucht der Fachhändler dann noch nicht einmal mehr eine eigene Einkaufsabteilung – er muss dann nur noch seine eigene Vertriebsmannschaft in Bewegung setzen. Den Rest machen wir.

Ein klassisches Modulsystem?

LENZ: Nennen wir es lieber einen bunten Blumenstrauß. Jeder greift auf das zu, was er für sich als hilfreich erachtet. Das Angebot ist sehr umfangreich und wir hinterfragen es auch immer wieder. Bringt die Leistung noch Nutzen? Welche Leistungen müssen eventuell subventioniert werden? Das sind Gedanken, mit denen wir uns permanent beschäftigen.

Was ist MPS?

LENZ: Managed Print Service. Das bedeutet, dass ein Unternehmen beispielsweise keine Drucker mehr kauft, sondern diese mietet und für die gedruckte Seite bezahlt. Das Thema ist sehr aktuell. Nun müssen bei sinkenden Druckvolumen die Anbieter ihre Systeme mit digitalen Work­flows kombinieren und sich auf die neuen Herausforderungen wie die Verlagerung der Arbeitsplätze ins Homeoffice oder generelles mobiles Arbeiten einstellen.

Wie aktuell ist Artikel-Datenmanagement?

MELZER: Sehr aktuell. Wer den besten Datencontent liefert, ist am Markt erfolgreich. Wir haben diese Strategie relativ früh verfolgt. Mehr aus der Not heraus als wir 2009 den outgesourcten Lagerstandort zurückgeholt haben. Unsere Artikeldaten waren zu dieser Zeit nicht optimal, und wir hatten eine Riesenbaustelle. Wir haben damals alles neu aufgebaut, viel investiert, und dann gemerkt, dass wir in der Branche die einzigen sind, die wirklich gute Artikeldaten haben. Unsere Lieferanten sahen es nicht als ihr Kerngeschäft an, gute Artikeldaten zu haben. Wir hatten ein Alleinstellungsmerkmal, das nach wie vor ein wichtiges Erfolgs­kriterium ist. Aber auch hier gilt es, sich mit strategischen Fragen zu beschäftigen, wie etwa: Können wir uns Qualitätsabstriche zugunsten der Geschwindigkeit leisten?
Oder müssen wir es sogar?

Ist es für einen Händler easy in Ihrem Shopsystem zu bestellen?

MELZER: Ja. Vom Bestellprozess her ist es schlank, für die Händler und deren Kunden ist es schlank, und es ist günstig für die Händler. Über die Benutzerfreundlichkeit streiten sich die Geister. Fragen Sie zehn Leute, bekommen Sie zehn Meinungen. Aber wir arbeiten daran.

Crossmediale Vermarktung – sind Ihre Mitgliedsbetriebe da schon richtig unterwegs?

MELZER: Wenn wir unter crossmedial die Verzahnung von On- und Offline verstehen, dann sind viele gut unterwegs. Unsere Shops sind sehr weit verbreitet und dennoch sind auch noch viele gedruckte Kataloge im Einsatz. Auch Spezialver­marktungsthemen für gewisse Sortiments­bereiche werden gut genutzt.

Das Soennecken WorkLab – nehmen die Mitgliedsbetriebe die Einladung zum Brainstorm in einer kreativen Gesprächslandschaft gut an?

MELZER: Ja. In der „Vor-Corona-Zeit“ war das WorkLab jeden Tag, entweder intern oder extern, ausgebucht. Mitglieder bringen zum Beispiel ihre Kunden mit, um es ihnen zu zeigen. Soennecken gehört den Mitgliedern und im WorkLab kann man besonders darauf hinweisen – das ist mein Unternehmen. Auch externe Besucher nutzen die Räumlichkeiten gerne. Das Frauenhofer-Institut war zum Beispiel schon da – das WorkLab kann man auch als Externer ganz normal buchen.

Julian Lenz

WorkLab als interaktive Ideenschmiede. Gibt es einen Benefit fürs Unternehmen?

LENZ: Ja, sowohl für uns intern als auch für unsere Händler. Im WorkLab wird agil und kreativ gearbeitet. Ideen entstehen und können schneller umgesetzt werden. Zudem lernen wir dort in der eigenen Arbeit, welche Sortimente für den Megatrend des agilen Arbeitens notwendig sind. Um diese kümmern wir uns in unserer Sortimentsarbeit, sie werden zu neuen Fokussortimenten und damit zu neuen Umsatzchancen im Markt.

Genossenschaften fällt es nicht immer leicht, Ihre Mitglieder zum Mitmachen zu bewegen. Wie lebhaft sind eigentlich Ihre Generalversammlungen?

MELZER: Ich habe schon einige Versammlungen in unterschiedlichen Genossenschaften erlebt. Unsere ist die schönste (lacht).

Warum die schönste?

MELZER: Weil wir das immer verbinden mit dem Persönlichen. Wir haben eine Familienkultur. Da geht man manchmal hart miteinander ins Gericht, beispielsweise bei unserer Emanzipation mit dem Eigen­geschäft, was nicht flächendeckend gut ankam. Aber wir liegen uns auch in den Armen. Wir trinken ein Bier zusammen, oder auch mal zwei. Was die Beteiligung anbetrifft: Ein Drittel der Mitglieder kommt. Ein harter Kern mit ansehbarer Umsatzgröße.

Imagefilm mit Outtakes. Nicht jedes Unternehmen stellt Sequenzen ins Netz, in denen sich der Vorstandsvor­sitzende verhaspelt. Was ist das für ein Signal? Wir sind alle nur Menschen?

MELZER: Ja, so ist es gemeint. Wir haben bewusst gesagt, es ist kein Marketing-Gag, sondern zeigen ganz offen, wer wir sind. Wenn ich mir die Klickzahlen ansehe, hätten wir uns vielleicht den Imagefilm sparen können. Nein, im Ernst, es bringt zum Ausdruck, dass wir authentisch sind und die persönliche Nähe immer stark suchen.

Campino hat in seiner Biografie gesagt: „Zuhause ist da, wo man Weihnachten feiert“. Wo haben Sie Weihnachten gefeiert – was hat Corona zugelassen?

MELZER: Zehn Jahre in Köln. Ich bin ein klassischer Kölsche Jung, wie man ihn kennt. Habe aber auch Wurzeln im Ruhrpott, deshalb finde ich den Pott so sympathisch. Ich wohne jetzt in der Voreifel, wo ich groß geworden bin bei Zülpich, ein kleiner Ort, dort habe ich Weihnachten gefeiert, weil ich jetzt eine kleine Familie habe. Ein kleines Häuschen gebaut und eine bald zwei Jahre alte Tochter – ein Sonnenschein –, da macht Weihnachten Spaß.

LENZ: Ich habe Weihnachten nur zwei Kilometer von hier entfernt gefeiert, aber nicht direkt bei der Soennecken (lacht). Ich bin hier in der Nähe aufgewachsen, aber erst nach 29 Jahren haben sich meine Wege mit Soennecken gekreuzt.

Den Rheinländern sagt man nach, sie seien allein deshalb früh morgens schon begeistert, nur weil es hell wird. Ist das so?

MELZER: Oder wenn der EffZeh zumindest einen Punkt geholt hat. Auch das 1:2 gegen Bayern München hat uns begeistert.

Sie sind also FC-Fans?

MELZER: Volles Programm. Mit Leib und Leben und Dauerkarte. Meine Tochter war schon Mitglied beim FC, bevor ich sie überhaupt bei der Stadt Köln anmelden konnte.

Ach, das wollte ich noch fragen: Jacobs Kaffee steigt in den Gesundheitsmarkt ein und röstet keine Bohnen mehr, und Soennecken bietet Kaffeemaschinen an – abgerechnet wird pro Tasse. Ist das richtig?

MELZER: Ja! Warum? Nun, da kommen mehrere Komponenten zusammen. Kaffee und Büro – das passt. Es gibt ja längst die Automaten, da steckt man Geld rein und der Kaffee kommt. Dritte Besonder­heit im Bereich des Büromarktes: Jetzt kommen wir wieder zu MPS und zu Drucken und Kopieren, dort zahlt man auch pro Seite, irgendwann ist der Toner leer und muss nachgefüllt werden, das wäre bei der Kaffee­maschine eben der Kaffee, das Milchpulver oder die Kakaobohne. Irgendwann ist der Drucker vielleicht mal kaputt, genauso die Kaffeemaschine. Deshalb haben wir einen Versuch unternommen und auch den Händlern vorgestellt und gesagt: Eigentlich ist es doch egal, ob eure Techniker Kopierer und Drucker reparieren, oder eben auch Kaffeemaschinen. Denn wenn der Markt vor allem im Druckerbereich zurückgeht, überlegt euch doch mal: die Technik ist doch fast die gleiche. Pilot gestartet und tatsächlich: mit einer Minianleitung können Techniker diese Kaffeemaschinen reparieren.

Herr Melzer, Herr Lenz,  herzlichen Dank für das digitale Interview in diesen Zeiten!


Quelle: DENTAGEN INFO 2021/01