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Michael Göllnitz

Über einen historischen Sonntagvormittag im Büro, über einen Berufsweg, der die Zeitenwende in der Dentaltechnik geradezu exemplarisch markiert, über mitdenkende Mitarbeiter, die DNA eines Unternehmens, über Erkenntnisgewinne aus der Pandemie, über Analogie im Digitalzeitalter, den unumkehrbaren Wandel in der Beziehung zwischen Zahnmedizin und Zahntechnik, über ein bisschen Freizeit, einen jüngsten Sohn, der beim FC Barcelona studiert, und die Liebe der Familie zu einem Adler sprach Journalist Bernd Overwien für DENTAGEN INFO mit Michael Göllnitz (55), Geschäftsführer der Amann Girrbach GmbH am deutschen Standort in Pforzheim.

Mögen Sie Überraschungen?

Nun ja, wenn am Ende ein positives Ergebnis steht, gern.

Wie groß war die Überraschung, als Jutta Girrbach nach 25 Jahren im Unter­nehmen vor inzwischen gut zwei Jahren ihr Ausscheiden aus der Geschäfts­führung bekannt gab?

Ja, das kam wirklich unerwartet. Ich stand auf dem Tennisplatz, als sie vorschlug, sich am Sonntagvormittag im Büro zu treffen.

Sie waren da schon ihr langjähriger Vertriebsleiter. Ist Ihnen da der Gedanke gekommen, da muss etwas Außergewöhnliches anstehen?

Schon. Aber Jutta Girrbach hat in dritter Generation die Entwicklung des Unter­nehmens deutlich vorangetrieben. Die Fusion mit der österreichischen Amann Dental hat sie maßgeblich mitgestaltet. Das war die entscheidende Weichenstellung, um zu einem führenden Anbieter in der digitalen Dentaltechnik zu werden. Als Sie mir anbot, die freiwerdende Position eines Geschäfts­führers zu übernehmen, bin ich in diesem Moment fest davon ausgegangen, wir machen das jetzt gemeinsam.

Wie perplex waren Sie, als die Enkelin des Firmengründers das mit ihrer ganz persönlichen Zeitenwende verband?

Ziemlich perplex. Aber sich in der Mitte eines erfolgreichen Berufs­lebens zu entscheiden, jetzt die Dinge zu tun, die in einem 9-to-7-Job nicht möglich sind, verdient größten Respekt. Gemeinsam mit ihrem Mann engagiert sie sich heute in sozialen Projekten, ist in der Notfallseel­sorge mit großer Empathie unterwegs.

Schaut sie noch mal ab und zu im Unternehmen vorbei?

Ja, natürlich. Wir tauschen uns regelmäßig aus. Ich habe ja quasi die Ertüchtigung des Standortes Pforzheim geerbt. Handwerker, so weit dass Auge reichte. Da gab es viel Gesprächsbedarf. So gesehen, ist die Familie ja noch dabei. Jutta Girrbach ist ja nicht gegangen, weil sie keine Lust mehr hatte, Unternehmerin zu sein. Das war eine bewusste Entscheidung für einen zweiten Lebensentwurf.

„Ich habe mich gefühlt wie der Prinz von Pakistan“

Mit Wolfgang Reim, CEO der Amann Girrbach AG im österreichischen Koblach, führen Sie ein erfolgreiches Unternehmen mit 160 professionellen Mitarbeitern weiter in die digitale Dental­welt. Sie kommen ja ursprünglich aus der Edelmetallbranche, da trug man einst die Nase ja ziemlich hoch. Wie würden Sie vor diesem Hintergrund Ihren heutigen Führungsstil charakterisieren?

Das ist vielleicht ein bisschen drastisch formuliert, aber in der Tat gab es Zeiten, da wurden Entwicklungen wie bei Girrbach eher gönnerhaft belächelt. Ich habe mal gesagt, mich als totaler Edelmetaller wie der „Prinz von Pakistan“ gefühlt zu haben. Aber das war vor mehr als 20 Jahren. Und in diesen zwei Jahrzehnten hat sich der ganze Markt total gedreht. Plötzlich war ein Angebot von Girrbach so, als ob man Trainer von Borussia Dortmund werden soll.

…dürfen wir da noch später drauf kommen…?

…ja, habe schon gehört, am Ende kommt immer die Fußballfrage…

Nein, was die Frage nach dem Führungsstil anbetrifft, denke ich, im Laufe der Jahre eine eigene Art der Führung entwickelt zu haben. Der ist grundsätzlich kooperativ und fördernd. Bei uns fliegen keine Türen, wiewohl stellt sich da manchmal eine gewisse Grantigkeit ein, wenn wichtige Sachen einfach nicht funktionieren. Deshalb schätze ich es sehr, wenn Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter für ein Problem auch einen Lösungsansatz haben. Wenn sie sich Gedanken machen.

Corona hat das Management eines jeden Unternehmens herausgefordert. Wie haben Sie agiert?

Praktisch. Wir haben angefangen zu testen, da hatte das kaum jemand auf dem Schirm. Wir haben Schulungen beim DRK angeboten, um Selbsttests richtig durchführen zu können. Natürlich haben wir ab der zweiten Woche der Pandemie unsere Außendienstler nach Hause geschickt. Wir haben sogar ein Reiseverbot erteilt. Homeoffice so weit wie möglich. Das versteht sich von selbst.

War die Pandemie-Phase für viele Manager auch ein Erkenntnisgewinn?



Ja, sicher. Besprechungen mit Mit­arbeitern per Video, ohne viel Papier, direkte Kommunikation. In vielen Unterneh­men wurde deutlich, dass nicht die physische Präsenz im Büro zählt, sondern das Erreichen vereinbarter Zahlen und Ziele. Chefs können ja während einer Pandemie nicht mehr so einfach durch die Firma gehen und prüfen, ob alles gut läuft. Kennzahlen und Reports bekommen dadurch eine größere Bedeutung. Selbst unsere vielen Außendienstler, die längst Gebietsmanager mit vielfältigen Aufgaben sind, haben verinnerlicht, dass direkte Kundengespräche im Netz sehr wohl eine erfolgreiche Form der Kommunikation sein können. Aber auch da gilt der Grundsatz, die Philosophie des Unternehmens mit Überzeugung und Leidenschaft, mit ehrlicher Emotion rüber­zubringen.

…und man muss die richtigen Fragen stellen können.

Richtig. So beim Tässchen Kaffee zu fragen, wo drückt der Schuh, reicht heute nicht mehr. Ich muss zuhören können, ja, aber ich muss dem Kunden heute gerade in der digitalen Kommunikation unmittelbar einen Nutzwert anbieten können.

Als Vertriebler mit Leib und Seele, der so aus Ihnen spricht: haben Sie selbst noch persönlichen Kundenkontakt?

Zu wenig. Ich habe mir für 2023 fest vorgenommen, wieder viel mehr draußen zu sein. Aber die neue Zeit bietet halt neue Möglich­keiten. Wir sprechen ja jetzt hier auch über TeamViewer.

„Keine Marketingfloskel – das ist unsere DNA!“

Wir sind Amann Girrbach. Wir setzen Maßstäbe. Ist das „mir san mir“?

Wir alle in der Unternehmensgruppe setzen neue Maßstäbe in der digitalen Zahntechnik. Als Pionier in der Dentalen CAD- und CAM-Technologie sind wir einer der führenden Innovatoren und bevorzugten Full-Service-Anbieter in der digitalen Zahnprothetik. Wir sind selbstbewusst genug, zu sagen: mit unserem hohen Maß an Entwicklungskompetenz und Engagement für die Kundenorientierung schaffen und verbreiten wir anspruchsvolle System­lösungen für die zukünftige Praxis von Vorarlberg und Pforzheim in die Welt. Möglich ist das durch die Innovationen und exzellenten Produkte, die im Headquarter in Österreich entwickelt und produziert werden. Der Standort in Pforzheim steht für effizienten Direkt­ver­trieb, für Support- und Trainingsfunktionen sowie Logistik und Verwaltung. Das mag sich anhören wie eine wohlfeil formulierte Marketingfloskel, aber das ist unsere DNA.

Journalisten haben bekanntlich zwei linke Hände. Mir ist es jüngst nur mit Hilfe eines Youtube-Filmchens gelungen, den neuen Staubsauger in Funktion zu bringen. Zeigen Sie Ihren Kunden auch im Internet, wie es geht?

Shorts wie bei Youtube, also kurze Infovideos, spielen bei uns eine große Rolle. Sei es zu technischen Fragen, zur Bedienung von Produkten und vielem mehr. Das betreiben wir fast schon exzessiv. Quasi im Umkehrschluss haben wir auch unser Kurszentrum in Pforzheim komplett renoviert, unser Trainerteam kundenorientiert qualifiziert.

Analogie im Digitalzeitalter?

Wer bei uns neu einsteigt und beispielsweise ein Ceramill CAD/ CAM-System erwirbt, für den ist ein Basic-Training von drei Tagen hier vor Ort obligat. Wir würden niemanden sagen, „Plug and Play“ es wird schon klappen. Nein, das geht schief. Siehe Staubsauger!

Mit welchem Konzept ist die Amann Girrbach Akademie unterwegs?

Es geht heute nicht mehr als E-Learning „ja oder nein“, sondern ob man es sich leisten kann, diesem Trend nicht zu folgen. Die Akademie hat eine komplett digitale Lösung des Know-how-Transfers entwickelt. Digitale Herstellung von Zahnersatz auch digital vermitteln – eine Anforderung, der wir im internationalen Markt gerecht geworden sind. Sie können sich quasi alles herunter­laden, wie man so schön sagt.

Rückt die Feminisierung der Medizin, insbesondere der Zahnmedizin, den Aspekt der „Work-Life-Balance“ wirklich so dominierend in den Vordergrund?

Wir alle wissen ja: viele zukünftige Zahnärztinnen planen keine klassische Einzelpraxis zu haben. Da das Thema Prothetik im zahnmedizinischen Studium ja nicht mehr diese Rolle spielt, wird aller­spätestens die nächste Generation Zahnärztinnen und Zahnärzte verstärkten zahntechnischen Support benötigen und aktiv einfordern. Das ist doch die Perspektive für die Zahntechnik in Deutschland.

Fräszentrum in Shanghai kann nicht vor Ort sein

Hat die Zukunft schon begonnen?

Ja, für Labore mit kompetentem Außendienst, mit Mitarbeitern, die auch am Stuhl stehen können. Das muss in Zukunft möglich sein, wenn es beispiels­weise darum geht, eine komplexe Implantat-Konstruktion zu verschrauben. Das muss die Zahntechnik dürfen können. Beide Spezia­listen zum Wohle des Patienten im mitein­ander!

Aber das wird einigen Zahnärzten nicht unbedingt gefallen?

Mag sein. Die Zeit, „Ich bin der Doktor, ich weiß das besser“ ist eigentlich schon vorbei. Am Ende des Tages wird es so sein, dass Zahnmedizin und Zahntechnik gerade auf digitaler Ebene auf Augenhöhe agieren werden müssen. Da sind wir uns sicher.

Was macht Sie so sicher?

Wenn die Praxis um die Ecke einen Intraoralscanner einsetzt, werden die Patienten ihrem Zahnarzt Fragen stellen. Die Praxis kommt am Thema Digitalisierung nicht mehr vorbei. Die Zahntechnik ist digital gut aufgestellt. Wir sagen unseren Kurs­teilnehmern im Rahmen dieser Thematik, zeigt euren Zahnärztinnen und Zahnärzten, wie der Workflow zwischen Praxis und Labor funktioniert oder funktionieren kann. Die Sorge war ja, der Scanner könnte die Zahntechnik aus der Wertschöpfungskette nehmen. Aber ein Fräszentrum in Shanghai oder München kann dem Zahnmediziner vor Ort keine Unterstützung anbieten.

Sie persönlich, wozu nehmen Sie sich Zeit?

Ich entspanne am besten beim Kochen. Ich gehe mit meiner Partnerin gern wandern. Was ich wieder lernen musste, weil ich es lange nicht gemacht habe, ist Urlaub. Keine Selbstironie. Und ich versuche im nächsten Sommer viel Tennis zu spielen. E-Bike macht im Taunus ja auch Sinn. Fußball ist am Rande auch noch ein Thema.

Haben Sie aktiv gekickt?

Ja, 40 Jahre lang. War ein brauchbarer Torwart bis in die Landesliga. Das letzte Spiel habe ich mit 51 Jahren in der B-Klasse gemacht.

Sie haben eine Tochter und drei Söhne. Kicken die auch?

Ja, Fußball ist das Ding in der ganzen Familie. Der jüngste Sohn studiert in Barcelona Sportwissenschaften in Verbin­dung mit dem FC Barcelona. Mit 21 Jahren ist er aber schon über das Alter hinaus, als Fußballer entdeckt zu werden.

Interessant. Wie muss man sich ein Studium bei Barca vorstellen?

Da geht es um Sportmanagement. Da werden Manager und Spielerberater quasi herangezogen.

Und welcher Klub treibt bei Ihnen zuweilen den Blutdruck hoch?

Die Wahrheit gebietet es: als gebürtiger Münchener war ich ein junger Bayern-Fan. Meine Eltern waren das auch. Meine Mutter hat mich im roten Trainings­anzug mit drei weißen Streifen in die Schule geschickt. Selbst nach dem Umzug in den Taunus. Da gab es natürlich jede Menge „Holz“. So mit 30 Jahren bin ich dann „übergelaufen“ und letztlich auch meinen Kindern zu Liebe ein Fan von Eintracht Frankfurt geworden. Die ganze Familie liebt den Adler.

Gehen Sie ins Stadion?

Ja, immer wenn wir Karten bekommen – was ja heute in Frankfurt nicht mehr so einfach ist. Wenn es geht, sind wir da. Na klar!

Herr Göllnitz, herzlichen Dank für das Gespräch.

Quelle: DENTAGEN Info 2023/01

Fabian Rager

Eines der größten Containerschiffe der Welt liegt quer im Suezkanal und in Augsburg liegen die Nerven blank. Über die „Ever Given“, über krisenfeste Lieferketten, über Fairness bei der Wertschöpfung in der Zahntechnik, über den Kampf der Branche mit ansteigendem Fachkräftemangel, über Vertrauen als elementarem Wert im Business, über den hohen Anspruch, ein Schrittmacher in der Branche zu sein, über intensive Jahre in der Augenoptik und die Rückkehr in eine Dentaldynastie, in ein etabliertes Familienunternehmen mit fünf Jahrzenten Erfahrung, über innovatives Denken beim Feierabendbier, über die eigene kleine Familie und ein bisschen Freizeit sprach Journalist Bernd Overwien für „DENTAGEN INFO“ mit Fabian Rager (32), Leiter Marketing und Vertrieb CADdent® und Inhaber der MINDFAB GmbH in Augsburg.

Herr Rager, als Sie in den Nachrichten gehört haben, dass im Suezkanal ein Container-Jumbo auf Sand gelaufen ist, sind da sofort alle Alarmglocken angegangen?

Nein, nicht sofort. Wir hatten Zirkon in China geordert. Die Nachverfolgung der Liefer-Dokumentation haute uns natürlich vom Stuhl. Die Ware im Wert von einer Viertelmillion war tatsächlich auf der „Ever Given“.

Dachten Sie da eher an das Ausbleiben der Lieferung oder an eine Haftungs­beteiligung der Ladungseigentümer an den Bergungskosten?

In einer solchen Situation geht einem viel durch den Kopf. Es gibt da so ein altes Havariegesetz, wonach der Eigentümer der Ladung mit in die Haftung genommen werden kann, wenn es darum geht, ein Schiff vor dem Sinken zu retten.

Allein an der „Ever Given“ dürften um die zehntausend Parteien beteiligt gewesen sein, schätzt Dr. Julia Hörnig, Expertin für internationales Transportrecht an der Uni Rotterdam. 150 Schiffe wurden wochenlang an der Weiterfahrt durch den Suezkanal gehindert. Kann man sich den finanziellen Schaden überhaupt vorstellen?

Nein. Allein auf der Ever Given waren 20.000 Container mit einer Größe von 20 Fuß. Einen Container teilen sich rund 20 Ladungseigner. Durch solche Zahlenberge mussten wir aber nicht durch, denn wir waren durch Incoterms abgesichert.

Was sind Incoterms?

Das sind standardisierte Liefer­klauseln. Sie umfassen als vertrag­liche Vereinbarungen zwischen Verkäufer und Käufer alle Aufgaben, Risiken und Kosten, die mit dem Warenverkehr verbunden sind und gelten als die wichtigsten Handelsbedingungen weltweit. Bei Störungen der Lieferketten trägt der Versender die Kosten.

Ist die Ware eigentlich noch in Augsburg angekommen?

Ja, mit einem halben Jahr Verspätung. Unbeschädigt. Wir hatten im Übrigen während der Bergungszeit neu in China geordert und die Ware per Flugzeug transportieren lassen. Das war sehr kostspielig, aber für uns nicht anders machbar.

Hat die spektakuläre Havarie dazu geführt, dass CADdent® das Asien-Geschäft generell überdenkt?

Wir hatten zwar parallel immer zwei Lieferketten aus Asien, aber unser Hauptthema Zirkon hatten wir zum über­wiegenden Teil schon aus Asien nach Deutschland zurückgeholt. Warum überhaupt Asien? Nun, um beispielsweise PMMA-Kunststoff „kassengerecht“ in Deutschland anbieten zu können, war China damals die erste Wahl. Jetzt sind weiter dabei, auch PMMA in die EU zu holen. Die Gescheh­nisse rund um die „Ever Given“ haben sicher den Prozess beschleunigt, zukünftig weitest­gehend krisenfeste Lieferketten zu haben.

„Unsere gesamte Branche lebt nicht von den Akademikern, sondern von Handwerkern und der klassischen Berufsausbildung.“

Beim Thema Fachkräftemangel haben Sie sich erstaunlich klar positioniert. Auch politisch. Prägt der Mangel bereits die ganze Branche?

Ja. Wer viele Kundengespräche führt, weiß das. Es muss in Deutschland attraktiver werden, eine Ausbildung zu machen. Angefangen beim Image, der Anerkennung in der Gesellschaft bis hin
zur bildungspolitischen Lenkung…

…was bedeutet?

…auch eine gezielte und durchdachte Einwanderungspolitik zu machen, einhergehend mit einer zielgenauen Bildungspolitik.



Ich bin Jahrgang 1952. Ich kenne nur: Meinen Kindern soll es besser gehen. Gilt das für kommende Generationen nicht mehr?

Ich kenne das auch und es ist menschlich. Aber den Nachwuchs fast ausschließlich auf den akademischen Weg zu führen, ist falsch und führt zu geringen dualen Ausbildungszahlen. In allen Branchen. Resultat: Fachkräftemangel.

Nach dreieinhalb Jahren anspruchs­voller Ausbildung zur Zahntechnikerin oder zum Zahntechniker dann mit 2.300 € Brutto nach Hause zu gehen – ist das attraktiv?

Nein. Das geht überhaupt nicht. Wir haben bei uns immer schon über Mindestlohn gezahlt. Zufriedene Mitarbeiter – und da ist die finanzielle Honorierung ein wichtiger Aspekt – sind das größte Kapital eines Unternehmens. Eine Binse, dennoch wahr. Menschen, die morgens gern an ihren Arbeitsplatz kommen und sich in ein Team einbringen, sind auch kritikfähig gegenüber dem Unternehmen und sich selbst gegenüber.

Niemandem in der Branche ist verborgen geblieben, dass Ihre Unternehmen wirtschaftlich erfolgreich sind. Was ist aus Ihrer Unternehmensvision geworden, erster Ansprechpartner für mehr Wertschöpfung in der Zahntechnik zu sein?

Das ist der Grundstein. Die Vision lebt jeden Tag. Hört sich nach gutem Marketing an, nicht wahr? Es ist aber so. Wir hatten schon in der Pandemie volle Lager, dann kam der Anstieg der Inflation. Wir haben den Vorteil des frühen Einkaufs an unsere Kunden weiter­gegeben. Ein so genannter Übergewinn, wie von zahlreichen Konzernen generiert, kam für uns nicht in Frage. Erst als die Lager leer waren, mussten wir neu kalkulieren.

Auch in Zukunft?

Unsere Kunden vertrauen uns. Das hat unsere Familie in fünf Jahrzehnten aufgebaut. Alle unsere Kunden sind genaue Marktbeobachter. Deshalb können sie sich darauf verlassen, dass wir nur das weiter­geben, was ökonomisch notwendig ist.

Wie kam es zur Partnerschaft mit der DENTAGEN?

Heinz Schiller! Er hat ein gutes Ver­hältnis zu vielen DENTAGEN-Mitglieds­betrieben und war überzeugt: von den Unternehmensphilosophien her passen die gut zusammen. Die DENTAGEN bietet ihren Mitgliedern die Möglichkeit zu optimierten Prozessen. Das machen wir ja auch. Zudem hat die DENTAGEN sehr gute Erfahrungen mit familiengeführten Unternehmen gemacht. Nehmen Sie Flussfisch in Hamburg.

Was bieten Sie auf dem Marktplatz an?

Unser Portfolio ist ja überschaubar und den allermeisten Laboren ein Begriff.

„Schrittmacher in der Dentalwelt“ hat eine Fachzeitung über ihr Haus geschrieben. Das immer wieder zu beweisen, ist schon sportlich. Können sie das?

Eine solche Frage, ist eine Steilvorlage für einen Marketingmenschen. Nein, alle Alleinstellungsmerkmale und Inno­vationen lassen sich auf unseren Webseiten nachlesen. Aber auf unser neues Polier­konzept möchte ich schon hinweisen. Das einzige automatisierte System, das in der Regel bessere Ergebnisse erzielt, als beim Polieren mit der Hand. Eine Poliermaschine wird in Zukunft so selbstverständlich im Labor stehen, wie ein Scanner oder eine Fräse. Da sind wir uns sicher.

„Wer Augenoptik gelernt hat, schaut auch genau hin!“

Wird es demnächst Brillengläser und Hörgeräteakustik aus Ihrem Unter­nehmen MINDFAB geben?

Oh, da hat jemand meine Vita genau gelesen und spekuliert nun munter drauf los.

Aber ganz grundsätzlich: Wie kommt ausgerechnet ein Rager-Sprössling dazu, Augenoptiker zu werden?

Bei uns zu Hause gab es jeden Tag das Thema Zähne. Selbst Weihnachten. Da habe ich mir gedacht, „Fabian, du machst was anderes“.

Brille: Fielmann?

Genau. Da habe ich einen interessanten Handwerksberuf gelernt, habe später meinen Meister gemacht. Eigentlich wollte ich ja ein Fielmann-Geschäft übernehmen oder mich selbstständig machen, aber dann ging es über München in die Brillen­glas-Industrie. Da spielst du dann in der „Bundesliga der Augenoptik“.

Bayern oder eher doch FC Augsburg?

Ich dachte, Fußball kommt zum Schluss. Nein, wenn man bei Essilor im Außendienst ist, dann schon eher Bayern. Denn dieses Unternehmen hat es sich zur Aufgabe gemacht, Lösungen zur Korrektur und zum Schutz der Sehkraft der 7,7 Milliarden Menschen weltweit bereitzu­stellen. Eine unfassbare Dimension.

Haben Sie diesbezüglich nicht doch über eine Innovation in ihrem eigenen Unternehmen nachgedacht?

Natürlich. Am besten kann man bei einer Flasche Feierabend-Bier so mit sich selbst brainstormen. Und da sind mir doch die Schnittstellen zwischen Zahn­technik, Augenoptik und Hörgeräteakustik sichtbar geworden. Jetzt haben wir den 1. März 2023 als Start für eine Angebots­erweiterung der MINDFAB ins Auge gefasst. Schau’n mer mal.

Sie sind vor vier Jahren auf Wunsch Ihres Vaters ins Familienunternehmen zurückgekehrt. Ihr Vater hat seinen „Sechzigsten“ gefeiert und angekündigt, sich zurückziehen zu wollen. Werden Sie und Ihr jüngerer Bruder die Verantwortung für das Gesamtunternehmen übernehmen. Ihre Schwester lebt ja in den USA?

In Zukunft schon. Jetzt ist es so, dass die Zahntechnikermeister Manfred Goth und eben unser Vater Roland Rager noch in der Verantwortung stehen. Und das ist ein optimaler Prozess für uns. Friendly turn over. Unsere Schwester hat inzwischen ihre Heimat in Nordamerika.

Ihr jüngerer Bruder ist Zahntechniker?

Nein. Er hat, wie unser Vater, eine besondere, sagen wir, digitale Affinität. Ein exzellenter Programmierer. Er macht in unseren Unternehmen in diesem Bereich einfach alles. Für mich muss ein PC immer laufen und wenn er das nicht tut, habe ich schlechte Laune.

Sie sind Vater von zwei Töchtern. Mit Ihrer Ehefrau Milena drei Mädels im Haus. Wie ist das?

Schön ist das. Eine Tochter ist schon Zweidreiviertel und die Jüngste gerade vier Monate.

Oha, da sind die Nächte ziemlich kurz oder?

Nun, meine Frau, die ich im Übrigen vor zehn Jahren beim „Wegge­hen“ kennengelernt habe….

…beim „Weggehen“ – wovon?

…ja, auf einer Party halt, sagt man so bei uns. Nun, ich darf um 7 Uhr in der Früh‘ mit meiner älteren Tochter aufstehen. Und bis zur Kita um Acht kann ich auch schon mal ein paar Mails checken…

…aus China…?

…auch aus China!

Für Hobbys bleibt wenig Zeit, spielen Sie noch Fußball?

Nein. Ich habe mal beim TSV Diedorf gekickt. Da gab es viele, die besser waren. Einige sind beim FCA gelandet.

Sind Sie ein Fan des FC Augsburg?

Natürlich. FCA und …….Bayern München.

Na ja, Sie sind ja bayrischer Schwabe, da üben wir mal Nachsicht. Schönen Gruß von der Stadtgrenze Dortmund.

Herr Rager, herzlichen Dank für das Gespräch.

Quelle: DENTAGEN Info 2022/04

Joachim Utz

Er ist gelernter Zahntechniker und vor zwölf Jahren als klassischer Außendienstler von der analogen in die digitale Welt gewechselt. Über alternativlose Partnerschaften auf Augenhöhe, über den bedrohlichen Fachkräftemangel in der Zahntechnik, über die Feminisierung nicht nur der Zahnmedizin, über 12,4 Millionen Zähne, über eine große Familie, über die Leidenschaft für einen kleinen Ball, sprach Journalist Bernd Overwien für DENTAGEN INFO mit dem Key-Account-Manager bei Kulzer, Joachim Utz (57).

Inspiriert zu werden ist schön. Zu inspirieren ist großartig. Können Sie damit etwas anfangen oder ist Ihnen das zu viel Glückskeks?

Warum zu viel Glückskeks? Was stimmt daran nicht? Es gibt viele gute Sprüche: Manchmal sind sie nachdenklich, manchmal sind sie sogar klug, oft helfen sie, bestimmte Dinge des Lebens in kurzer Form zu beschreiben.

Auch die Dinge eines Unternehmens?

Beständigkeit, Vertrauen, Partner­schaft, der Kunde im Mittelpunkt – das steht bei uns nicht auf einem Schlagworte-Poster aus der Kreativ-Etage. Das ist bei Kulzer gelebter Alltag seitdem ich dabei bin. Und das sind auch schon 21 Jahre.

Tradition verpflichtet. Ist das so?

Wenn sich ein Unternehmen seit 85 Jahren als Marktführer in vielen Bereichen des Laborbedarfs als verläss­licher Partner für Labore und Zahnärzte erweist, dann leben Mitarbeiter die Firmen­philosophie. Die langjährige Zugehörigkeit vieler Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sagt viel über das Betriebsklima aus.

Was sind aus Ihrer Sicht die heute rele­vanten Bereiche für die Zahn­technik?

Schauen Sie sich unseren neuen Produktkatalog an. Da geht es um Arbeitsvorbereitung, CAD/CAM-Lösungen bis hin zur Verblendung. Jeder findet das, was er braucht.

Gibt es für Sie besondere Kulzer-Stärken?

Danke, das ist ja vielleicht eine Vorlage für Marketing-Experten (lacht). Nein, auch die vielen Studien, Fachartikel, Refe­renzen, Forschung und Entwicklung sind es, die uns flexibel am Markt agieren lassen. Kunden haben sehr unterschiedliche Bedürfnisse. Es geht doch immer darum, Support und Service, Dienstleistungen und Schulungsangebote in individuellen Gesprächen mit den Partnern anzubieten. Wussten Sie, dass wir 100 Seminare und Webinare im Jahr anbieten?

Nein, wusste ich nicht. Beschäftigen Sie auch externe Unternehmens­berater oder ist alles hausgemacht?

Wir lassen gerade die verschiedenen Förderprogramme der einzelnen Bun­desländer durch einen externen Unter­neh­mensberater aktualisieren. Die Ergebnisse können wir den Mitgliedsbetrieben der DENTAGEN eG gern zur Verfügung stellen.

In der Partnerschaft mit der DENTAGEN eG geht es doch hauptsächlich um Produktkonditionen…

…die wir in gegenseitiger Absprache Anfang 2023 neu justieren wollen. Nein, in einer guten Partnerschaft geht es um mehr als nur monetäre Aspekte. Im Mai 2023 soll eine zweitägige Veran­staltung in Wasserburg stattfinden. Wir, Kulzer, sind gerade an der endgültigen Planung. Nach finaler Abstimmung besteht für maximal 20 DENTAGEN-Mitglieder die Möglichkeit einer Teilnahme. DENTAGEN wird den genauen Inhalt und Ablauf rechtzeitig bekanntgeben. 



Mit aktuell 90 Mit­arbeitern produzierte der Standort Wasserburg am idyllischen bayerischen Zipfel des Bodensees im vergangenen Jahr 12,4 Millionen Zähne. Das wird sicher ein interessanter Werksbesuch. In kompakten Impulsvorträgen geht es um 3D-Print, digi­talisierte Prothesen und mediale Auf­tritte auch von kleineren Laboren. Und wer möchte, fährt Mountainbike. Ist das was?

Wer wollte da widersprechen. Wenn Sie heute in ein Labor kommen, was sind die dringlichsten Themen?

Es hat sich viel verändert im Markt. Es wird mehr und mehr digitalisiert werden, wodurch sich für die Labore Chancen ergeben. Denn es wird ja von der Digitali­sierung zur Automatisierung und letztendlich zum Roboting gehen. Da sind wir am Anfang eines sehr langen Weges. Da braucht man eine klare Strategie. Ob kleiner Betrieb oder großer. Zahntechniker dürfen sich da nicht mehr zum Jagen tragen lassen.

Und das Thema Fachkräfte?

Oh ja, da sprechen Sie die aktuell vielleicht größte Sorge der Laborinhaber an. Was tun? Wir müssen uns fragen, wie wir den Beruf für junge Menschen attraktiver machen können. Welche Rahmenbedingun­gen es gibt. Hierzu gehören nicht nur monetäre Aspekte. Das geht dann wesentlich über die Politik.

Wird die Zahntechnik in Berlin überhaupt wahrgenommen?

Kann ich aus der Ferne betrachtet schlecht sagen. Für mich steht fest, dass höhere Preise generiert werden müssen, die dem Fachkräftemangel entgegenwirken können. Auch Zahnärzte, die eine stärkere Lobby in der Hauptstadt haben, müssen wissen, was in ihren Partnerlaboren los ist. Eine nicht unerhebliche Zahl an Zahn­techniklaboren ( bundesweit ) bemüht sich aktuell um eine Betriebsübergabe aus Altersgründen. Die Nachfolgefrage erfolgreich zu lösen, ist nicht einfach. Ob das Allen gelingt scheint momentan leider fraglich.

Die Feminisierung der Zahnmedizin läuft auf Hochtouren. Wird das in der Zahntechnik auch so sein?

70 – in Worten Siebzig – Prozent in den Meisterkursen der Zahntechnik sind bereits Frauen. Zahntechnikerin ist ein schöner Beruf, wer wollte das bestreiten. Aber auch da wird die Vergütungsstruktur eine eher dämpfende Rolle spielen. Und Labor­inhaber sollten sich darauf einstellen, dass Frauen beim Thema Life Work Balance andere Ansprüche haben als Männer.

Das Thema Partnerschaft auf Augen­höhe und Win-Win-Situationen für alle Beteiligten im Dentalmarkt ist Ihnen offenkundig sehr wichtig. Wann werden wir da angekommen sein?

Wer alle Entwicklungen und Trends im Markt beobachtet, der kann nur zu dem Schluss kommen, dass es nur gemeinsam geht. Dazu ist Vertrauen vonnöten. Der Zahnarzt muss mit seinem Stammlabor über gemeinsame Digitalisierungsprozesse sprechen. Auch kleinere Betriebe sollten erkennen, dass ihr Wohl nicht nur im Einkauf liegt. DENTAGEN beispielsweise hat da ein erstklassiges Gesamtpaket geschnürt. Die Industrie muss genau wissen, wie Labore ticken, was in Wirtschaftsverbünden los ist. Wie es dem Kunden aktuell geht. Im Übrigen ist die Auftragslage in diesem Jahr ja gar nicht so schlecht. Es ist, um es noch einmal zu unterstreichen, der Fachkräftemangel.

„Hey Doc, denk mal darüber nach, was du an uns hast?“ Lass uns zusammen digital gehen. Ist das die Ansage?

Bisschen flapsig formuliert, aber ja. Ich bin seit zwölf Jahren digital unterwegs. Ich habe schon Oralscanner verkauft, da sagte viele, dafür gäbe es keinen Markt. 28 Prozent aller Praxen in Deutschland wollen nach unseren Informationen noch in diesem Jahr in IOS einsteigen. Wer keinen digitalen Laborscanner hat, der sollte sich sputen. Auch analoge Abformungen, die noch reinkommen, können ja in die digitalen Prozesse einfließen. Abwarten, was da wohl kommt, war gestern.

Apropos gestern. Sie waren begeisterter Handballer. Sie haben als Spieler­trainer Ihr Studium finanziert. Werden im Alter die Bälle immer kleiner?

Ha, das trifft wohl zu. Nach Handball kam Tennis, und seit vielen Jahren bin ich begeisterter Golfer.

Handicap?

Aktuell 11,2 – aber ich war auch schon unter 10. Ich glaube, mit den Zipperlein des Älterwerdens lässt der Ehrgeiz ein wenig nach. Nein, ich spiele heute sehr gerne Golf. Das ist ein schöner Ausgleich zu einem Job, der ja nicht 9-to-5 ist.

Sie haben eine große Familie. Was den Sport anbetrifft folgen die Söhne dem Papa?

In der Tat, wenn wir ein Familienfest feiern, sind das immer 30 oder 40 Leutchen. Meine Ehefrau, die als Unter­neh­mensberaterin unterwegs ist, hat auch eine große Familie mitgebracht. Ohne familiäre Unterstützung könnten wir nicht zwei solche zeitaufwendigen Jobs machen. Also der Nachwuchs und Sport, hatten Sie gefragt…

Sie hatten ja auch fast geantwortet.

… (lacht) die Jungs spielen Fußball und Schlagzeug, unser Mädchen aus dem Zwillingspärchen ist erst 7 und tanzt natürlich. Oder spielt Zirkus. Und mein Kleiner geht ab und zu mit mir in die Kletterhalle.

Jetzt kommt natürlich die obligato­rische Fußballfrage. Welcher Herzensclub?

Bin da schon vorgewarnt worden. Natürlich der KSC. Ich kenne da einen der Vorstände persönlich, begegne des Öfteren aktuellen Spielern, die Verbunden­heit reicht natürlich weit zurück. Können Sie sich an das 7:0 gegen Valencia erinnern?

Wie viele Tore schoss noch mal Euro-Eddy?

Drei. Es war ein magischer Europa­pokal-Abend. An den sich alle hier in der Region gern erinnern. Jetzt kriegen wir ein neues Stadion und dann greift der KaEschZeh wieder an.

Joachim Utz, herzlichen Dank für das Gespräch.

Quelle: DENTAGEN Info 2022/03