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Stimmt, falsch, halb-richtig: Mythen zu Karies, Parodontitis & Co.
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Prof. Dr. med. dent. Andreas Braun

Über Karies, Parodontitis und Zahnstein ist schon alles gesagt – wirklich? Doch gesagt ist nicht gleich richtig! Um die Themen ranken sich auch im 21. Jahrhundert eine Menge Halbwissen und handfeste Mythen, die der Aachener Klinikdirektor und Universitätsprofessor Dr. Andreas Braun in einem Informationsvideo für Patienten aufgreift und adressiert. Für die ZWP hat der renommierte Zahnmediziner die Inhalte seines Videos kurz erklärt.
Mythos 1: Die Entstehung von Karies ist ernährungsbedingt.
Fakt: Diese Aussage ist richtig!
Im gesamten Mundraum findet sich eine Vielzahl von unterschiedlichen Bakterien – normalerweise halten sich die nützlichen und schädlichen Bakterien gegenseitig in Schach. Durch die Ernährung kann die Mundflora aber in ein Ungleichgewicht geraten, sodass sich Keime verstärkt vermehren und Karies auslösen können. Studien weisen deutlich darauf hin, dass vor allem einfach- oder zweifachzuckerhaltige Nahrungsmittel und Getränke sowie auch stärkehaltige Nahrungsmittel zur Vermehrung kariesauslösender Bakterien führen und damit die Kariesgefahr ansteigen lassen können.1, 2 So sind vor allem Zucker, Fertigprodukte, Fast Food oder Süßspeisen in Bezug auf die Kariesentstehung als problematisch anzusehen. Mehlprodukte wie Nudeln oder Brot enthalten zwar ebenfalls Kohlenhydrate, sind aber als weniger problematisch einzuordnen. Auch Obst und Früchte enthalten oftmals Glukose, Fruktose und Saccharose, welche die Kariesentstehung unterstützen können. Betrachtet man allerdings entsprechende Studien, scheint ein mäßiger Konsum aber unbedenklich zu sein.3, 4 Dabei muss bedacht werden, dass solche Nahrungsmittel oftmals auch Ballaststoffe enthalten und außerdem die Speichelsekretion anregen. Milch und Milchprodukte enthalten Milchzucker, zusätzlich aber auch Casein, Kalzium und Phosphat, die ihrerseits einer Wirkung der durch die Bakterien produzierten Säuren für die Kariesentstehung entgegenstehen. Unproblematisch sind hingegen Salat, Gemüse, Hülsenfrüchte oder Nüsse. Sie enthalten zwar auch Zucker, aber in so geringen Mengen, dass diese durch die enthaltenen Ballaststoffe für die Kariesbakterien nicht gut zugänglich sind.
Mythos 2: Schlechte Zähne werden vererbt.
Fakt: An dieser Aussage ist teilweise etwas dran!
Es besteht die Behauptung, dass schlechte Zähne bei Kindern von den Eltern vererbt wurden. Eine sehr bequeme Art, die Verantwortung für die Zahngesundheit abzugeben! Doch was sagt die Wissenschaft zu dieser Thematik? Karies und Zahnfleischerkrankungen können tatsächlich gehäuft in einer Familie auftreten. Doch handelt es sich dabei um eine Weitergabe von Geninformationen oder um die familiären Lebensgewohnheiten? Tatsächlich können einzelne Parameter im Bereich der Zahnhartsubstanzbildung, Speichelzusammensetzung und Immunregulation vererbt werden. Studien weisen darauf hin, dass beispielsweise eine Genvariation des sogenannten Beta-Defensins 1 mit einer stärkeren Ausprägung von Karies in Verbindung gebracht werden kann.4, 5 Karies selbst wird aber zu einem viel größeren Anteil durch Lebensgewohnheiten wie Ernährung und Zahnpflege verantwortet. Letztendlich handelt es sich um eine Erkrankung, bei der Bakterien auf den Zähnen verbliebene Nahrungsreste über einen längeren Zeitraum verstoffwechseln und Säuren produzieren, die die Zähne zerstören. Somit sind Umweltfaktoren, Verhaltens- und Essensmuster, Tagesroutinen und Mundhygienegewohnheiten von größerer Bedeutung als die Gene.
Mythos 3: Zahnstein kann mittels Zähneputzens entfernt werden.
Fakt: Diese Aussage ist falsch!
Zahnstein ist mineralisierte Plaque, welche durch die Umwandlung der im Speichel gelagerten Kalzium- und Phosphationen entsteht und fest auf der Zahnoberfläche anhaftet. Aus diesem Grund findet sich in der Regel die größte Menge Zahnstein im Bereich der Ausführungsgänge der großen Speicheldrüsen in der Unterkieferfront und an der Außenseite der oberen Seitenzähne – es kann aber in der gesamten Mundhöhle in unterschiedlicher Geschwindigkeit zur Bildung von Zahnstein kommen. Durch die Einlagerung der Mineralien ist Zahnstein robust und stabil, sodass es nicht möglich ist, Zahnstein durch Spülen oder Zähneputzen zu entfernen. Dazu bedarf es spezieller Reinigungsmethoden, weshalb diese Methoden professionell in einer zahnmedizinischen Praxis durchgeführt werden sollten.
Mythos 4: Parodontitis haben nur Menschen, die sich nicht oft genug die Zähne putzen.
Fakt: An dieser Aussage ist teilweise etwas dran!
Die Ursache für eine Parodontitis sind Bakterien, die sich in den Belägen der Zahnwurzeloberfläche befinden und Schadstoffe bilden, die ihrerseits in den Geweben des Zahnhalteapparats Entzündungsprozesse hervorrufen. Es bilden sich tiefe Zahnfleischtaschen, in denen sich Bakterien noch besser vermehren können, der Knochen abgebaut wird und schlussendlich der Zahn locker werden kann oder gar Zahnverlust droht.
Das Ausmaß und die Geschwindigkeit dieser Entzündung sind davon abhängig, wie gut die körpereigene Abwehr ist. Folglich begünstigen Einflüsse, die das Immunsystem schwächen, die Entwicklung der Erkrankung. Risikofaktoren sind dabei neben einer unzureichenden Mundhygiene aber auch Rauchen, Stress, hormonelle Einflüsse, Ernährung, Medikamente oder allgemeine Grunderkrankungen wie Diabetes. Die Grundvoraussetzung für die Vermeidung einer Parodontitis ist aber vor allem in einer ausreichenden Mundhygiene zu sehen.
Mythos 5: Im Alter nimmt das Kariesrisiko ab.
Fakt: Diese Aussage ist falsch!
Insgesamt kann festgestellt werden, dass die Anzahl der Zähne im Alter weniger stark zurückgeht, als dies noch vor Jahren der Fall war. Dies ist sicherlich vor allem auf die verbesserten Möglichkeiten der Zahnerhaltung sowie ein gesteigertes Mundgesundheitsbewusstsein zurückzuführen. Allerdings ist damit verbunden auch die Möglichkeit gegeben, dass diese Zähne parodontal erkranken, das Zahnfleisch zurückgeht und somit die Wurzeloberflächen der Zähne freigelegt werden. Da diese freiliegenden Zahnwurzeln eher durch Säuren geschädigt werden können als Zahnkronen, steigt mit zunehmendem Alter auch das Risiko für die Bildung von Wurzelkaries. Hinzu kommen verschiedene Erkrankungen und Medikamente, die den Speichel und damit die Neutralisation der kariesverursachenden Säuren negativ beeinflussen können. Ein wesentlicher Punkt ist auch, dass altersbedingte Einschränkungen in der Feinmotorik das Zähneputzen erschweren können, wodurch die Mundhygiene verschlechtert wird.
Dieser Beitrag ist in der ZWP Zahnarzt Wirtschaft Praxis erschienen.