Archive
Arbeitsrechtliche Mythen: Überstunden, Mehrarbeit, Arbeiten trotz AU
—

—
Was sind eigentlich Überstunden? Was versteht man unter Mehrarbeit? Ist das nicht das Gleiche? Darf man trotz einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung (AU) arbeiten? Der folgende Artikel räumt mit einigen arbeitsrechtlichen Mythen auf, um Entscheidern das notwendige rechtliche Know-how mit auf den Weg zu geben.
Überstunden
Arbeitet ein Arbeitnehmer länger als dies im Arbeitsvertrag vereinbart ist, handelt es sich um Überstunden. Per Definition ist die Leistung von Überstunden die Überschreitung der vom einzelnen Arbeitnehmer geschuldeten, arbeitsvertraglich oder tarifvertraglich festgelegten Arbeitszeit. Überstunden liegen außerdem nur dann vor, wenn sie der Arbeitgeber ausdrücklich angeordnet oder sie zumindest stillschweigend geduldet hat.
Mehrarbeit
Mehrarbeit liegt hingegen dann vor, wenn der Arbeitnehmer eine gesetzlich festgelegte Grenze, wie sie z. B. im Arbeitszeitgesetz (ArbZG) enthalten ist, überschreitet. Das Arbeitszeitgesetz schreibt für den Normalfall den Achtstundentag vor. Das heißt, mehr als acht Stunden (ohne Pausen) pro Tag darf ein Arbeitnehmer i.d.R. nicht arbeiten. Diese Regelung hat eine Ausnahme: Die tägliche Arbeitszeit kann vorübergehend auf maximal zehn Stunden (ohne Pause) heraufgesetzt werden, wenn innerhalb von sechs Monaten (oder von 24 Wochen) im Durchschnitt acht Stunden werktäglich nicht überschritten werden, vgl. § 3 S. 2 ArbZG.
Festlegung der Arbeitszeit
Grundsätzlich kann der Arbeitgeber die Arbeitszeit einseitig festlegen, § 106 S. 1 GewO. Denn gemäß dieser Vorschrift kann der Arbeitgeber die „Zeit der Arbeitsleistung nach billigem Ermessen näher bestimmen“.
Arbeiten trotz AU
Das Thema Krankschreibung wirft einige Fragen auf und führt nicht selten zu Unsicherheiten zwischen Praxisinhaber und Mitarbeiter. Wenn die vom Arzt ausgestellte Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung für einen mehrtätigen Zeitraum gilt, stellt sich regelmäßig die Frage, ob der Mitarbeiter bis zum letzten Tag zu Hause bleiben muss und ob der Praxisinhaber den Mitarbeiter beschäftigen muss, wenn er eigentlich noch krankgeschrieben ist. Entgegen verbreiteter Annahme verpflichtet die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung den Mitarbeiter nicht, bis zum Ablauf des letzten Tages des Arbeitsunfähigkeitszeitraums zu Hause zu bleiben – bei vorheriger Genesung ist es durchaus gestattet, die Arbeit wieder aufzunehmen.
Wirkung der AU
Einer vom Arzt ausgestellten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung kommt ein hoher Beweiswert dahingehend zu, dass der Mitarbeiter tatsächlich infolge Krankheit arbeitsunfähig ist. Allerdings geht aus der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung nicht zwingend hervor, dass die Krankheit auch tatsächlich bis zum Ende des vom Arzt angegebenen Zeitraums auch besteht bzw. bestehen wird.
Fühlt sich der Mitarbeiter bereits vor Ablauf des Zeitraums genesen, darf er die Arbeitstätigkeit wieder aufnehmen – auch wenn der Zeitraum der AU noch nicht abgelaufen ist. In der AU ist somit insbesondere kein für den Mitarbeiter bindendes Berufsverbot zu erblicken. Ein solches kann nicht aus einschlägigen arbeitsrechtlichen Vorschriften abgeleitet werden. Insbesondere existiert auch keine Gesundschreibung, welche der Mitarbeiter vor Wiederaufnahme der Arbeit beim Arzt einholen müsste.
Fortwirken des Versicherungsschutzes
Nimmt der Mitarbeiter folglich vor Ablauf des Zeitraums der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung die Arbeitsleistung wieder auf, ist er „ganz normal“ gesetzlich sozial- und unfallversichert.
Keine Pflicht des Arbeitgebers zur Annahme der Arbeitsleistung
Aus dem geschlossenen Arbeitsvertrag erwachsen für die Vertragsparteien Nebenpflichten, welche insbesondere mit Blick auf die Interessen der jeweiligen anderen Vertragspartei einzuhalten sind. So trifft den Mitarbeiter beispielsweise eine Sorgfaltspflicht dahingehend, die Arbeitsleistung bei anhaltenden Krankheitssymptomen nicht wieder aufzunehmen und den weiteren Zeitraum der Krankschreibung zur Genesung wahrzunehmen.
Ebenso trifft den Praxisinhaber die Sorgfaltspflicht, insbesondere auch bezüglich seiner anderen Mitarbeiter. Um dieser Pflicht nachzukommen, kann es erforderlich sein, dass der Praxisinhaber den Kranken, aber arbeitswilligen Arbeitnehmer wieder nach Hause schickt. Die Missachtung dieser Sorgfaltspflicht kann beispielsweise bei Eintritt eines Unfalls eine Schadensersatzpflicht des Arbeitgebers nach sich ziehen. Der Praxisinhaber ist also nicht verpflichtet, die Arbeitsleistung vor Ablauf des Zeitraums der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung anzunehmen, wenn die Krankheit tatsächlich fortbesteht.
Fazit und Praxistipp
Wer gesund ist, kann arbeiten. Eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung macht nicht krank. Gesund ist man nicht mit Ablauf der Bescheinigung, sondern wenn man sich gesund fühlt.
Um in der Praxis Unsicherheiten zu vermeiden, empfehlen wir Ihnen, diese Thematik im Gespräch mit Ihren Mitarbeitern anzusprechen und über die maßgeblichen Grundsätze zu informieren.
Dieser Beitrag ist in der ZWP Zahnarzt Wirtschaft Praxis erschienen.