Skip to main content

Das Interview mit Christian Johannes


Ist die Corona-Krise der Treibstoff für eine noch rasantere Digitalisierung der Dentalwelt? Auf allen nur denk­baren Kommunikationsebenen? Über die Top-Drei-Fragen aus Dentallaboren und Zahnarztpraxen in der Krise, warum es leichter ist, einen Ikea-Schrank zusammenzubauen, als die 16 verschiedenen Antragsformulare für Soforthilfe in 16 Bundesländer zu verstehen, über die Angst, als Subventionsbetrüger dazustehen, über Kurzarbeit und warum gerade die Zahnärzte dabei zwischen allen Stühlen sitzen und wie es möglich ist, dass der „Effzeh“ ausgerechnet einen Kölner geradezu nervt, sprach Journalist Bernd Overwien für die DENTAGEN INFO mit dem Geschäftsführer der ETL ADVISA Johannes & Kollegen GmbH Steuerberatungsgesellschaft in Köln. Ein exzellenter Fachmann, seit vielen Jahren beratender Partner der DENTAGEN eG.

Herr Johannes, DENTAGEN hat aus uns allen bekannten Gründen den für Anfang Juli geplanten „Partnertreff 2020“ in Rösrath absagen müssen. Was musste Ihr Unternehmen aktuell aus dem Veranstaltungskalender streichen?

Kolleginnen und Kollegen aus über 800 Kanzleien in Deutschland und weitere 400 Teilnehmer aus ganz Europa treffen sich alle zwei Jahre in Berlin zu einem hoch­karätig besetzen Fachdialog. Über 1000 Menschen, die die Abstandregeln einhalten – das ist selbst im riesigen Tagungshotel Estrel an der Sonnenallee nicht darstellbar.

Fortbildung also jetzt auch bei Ihnen als Webinar?

Ja, denkbar. Für Fortbildungen auch mit rund 30 Teilnehmern in Berlin bin ich mehrmals im Jahr morgens um Fünf im ersten Flieger gesessen. Zusammen mit Bundesbeamten und Offizieren der Bundes­wehr. Und abends dann wieder zurück nach Köln. Wenn eine Übernachtung hinzukam, waren das anderthalb Tage. Heute haben wir zwei Stunden konzentriert Webinar. Und können die Inhalte zurückspulen.

Und es spart Reise- und Hotelkosten. Da freut sich doch der Vorstand oder?

(lacht) Sicher. Wir haben in den Webi­naren bisher mehr Teilnehmer gehabt als im ganzen Jahr 2019 in den Präsenzver­anstaltungen. Nein, selbst Vorstands­sitzungen funktionieren gut im Intranet. Auf allen Ebenen macht sich die Erkenntnis breit: Zweimal im Jahr ein persönliches Treffen, der Rest funktioniert auch so. Und unser Firmengründer hier in Köln – inzwischen im Pensionsalter – hat mehr Zeit für das Sponsoring seines Klubs Viktoria.

Die spielen in der 3. Liga Fußball. Wie endet die Saison?

Bin absolut kein Fußball-Fachmann, aber wenn jetzt Schluss wäre, würde Viktoria zumindest nicht absteigen.

100 Kanzleien der ETL ADVISA haben sich wie Sie auf Medizinrecht und die gesamte Gesundheitswirtschaft spezialisiert. Viele Arztpraxen und Dentallabore gehören zu Ihrer Mandantschaft. Was waren in den letzten Wochen die drei am häufigsten gestellten Fragen?

Erstens: Kann ich Soforthilfe beantragen? Zweitens: Wie geht das mit der Kurzarbeit? Drittens: Was machen wir mit den Steuervorauszahlungen?

Und was war Ihr Rat?

Ohne ins letzte Detail gehen zu wollen und hier auch zu können. Generell gilt: Soforthilfe als Liquiditätssicherung in dieser Ausnahmesituation auf jeden Fall bean­tragen. Ob ein Unternehmen alle Kriterien erfüllt, stellt sich dann ja heraus. 16 Bun­desländer mit 16 verschiedenen Kriterien für die Soforthilfe. Glauben Sie mir, das auseinander zu halten ist schlimmer als ein Ikea-Regal zusammenbauen zu müssen. Aber niemand ist ein Subventionsbetrüger, wenn er die Kriterien dann reißt. Also: beantragen, Geld für nachweisbare Betriebsausgaben nutzen oder aber an die Seite legen. Denn wenn man nach drei Monaten merkt, man hätte die Soforthilfe gar nicht gebraucht, dann eben zurückzahlen.

Moment mal, gibt es wirklich die Sorge, am Ende vielleicht als Subventionsbetrüger dazustehen?

Ich finde es bedauerlich, dass die zuständigen Behörden in NRW und auch die des Bundeswirtschaftsministers in Berlin jetzt schon beginnen, die Empfänger von Soforthilfe zu kriminalisieren. In ersten Stellenanzeigen werden bereits Leute für die Bezirksregierungen gesucht, um alle Soforthilfen nachzuprüfen.



Aber einige Fälle von Subventions­betrug sind ja vermeintlich entdeckt worden?

Mag sein. Darüber werden dann Gerichte entscheiden. Bisher bekannt sind Fälle, die sich durch ein Höchstmaß an krimineller Energie auszeichnen. Das kann ich in der Mandantschaft nicht erkennen. Von Zahnarztpraxen und Dentallaboren habe ich diesbezüglich noch überhaupt nichts gehört. Und da verstößt auch niemand bewusst gegen Kriterien.

Kurzarbeit, das andere Mega-Thema, ist ein Instrument aus der Werkzeug­kiste der Stahlindustrie in den 70er Krisenjahren. Autozulieferer wissen seit Jahrzehnten wie das geht. Aber Zahnärzte und Laborinhaber?

Natürlich gab und gibt es enormen Beratungsbedarf. Beginnend bei den Antragsformularen. Letztendlich hatten es die Dentallabore als Handwerksbetriebe da ein wenig einfacher, mit der Agentur für Arbeit klar zu kommen. Alle Labore, die wir betreuen, sind in Kurzarbeit. Einige Man­danten wollen aber schon im Juni wieder heraus aus der Kurzarbeit. Das wäre eine gute Entwicklung.

Können Zahnarztpraxen überhaupt Kurzarbeit anmelden?

Noch immer fremdelt die Agentur für Arbeit mit den Freiberuflern. Es gab ja erst die Weisung für die Bundesagentur für Arbeit, es gäbe für Zahnarztpraxen keinen Anspruch auf Kurzarbeit, weil diese ja unter dem Rettungsschirm stünden. Das galt für die Agentur als eine Art Betriebs­schließungs­versicherung. Aber wenn Zahnärzte, respektive die Zahnärztinnen, dann tatsächlich eine Versicherung haben, die ihnen eine Schließung durch Pandemie ausdrücklich absichert, dann gibt es angeblich keinen Anspruch auf Kurzarbeit. Umge­kehrt sagt die Versicherung dem Arbeitgeber in einer Zahnarztpraxis, er hätte ja Kurz­arbeit beantragen können, wir zahlen nicht für das Personal. Da sitzt man plötzlich zwischen allen Stühlen. Und wenn man sich den Rettungsschirm ansieht, der für Zahn­ärzte kein Rettungsschirm ist, sondern nur eine Art Darlehen, dann ist das ein Rettungs­schirmchen. Wer genau liest: Kurzarbeit ist vorrangig bei der Bemessung des Rettungs­schirmes. Wir haben allen Mandanten empfohlen: Zeige Kurzarbeit an und arbeite auch kurz. Denn die KVen könnten später kommen und sagen: Sie hätten ja Kurzarbeit anzeigen können. Und jetzt kam ja auch die Weisung, Kurzarbeit in Praxen ist möglich. Verwirrende Entwicklungen.

Was glauben Sie: ist Land in Sicht für einen Normalbetrieb in Praxen und damit verbunden eine Bedarfssteigerung an Zahnersatz?

Im Moment mit Blick auf den Juni glaube ich das schon. Ich selbst habe ein Inlay verschoben aus Angst vor einer erhöhten Ansteckungsgefahr. Aber warum soll es angesichts aller bekannten Sicherheitsmaßnahmen in einer Zahn­arztpraxis gefährlicher sein als in einer normalen Arztpraxis? Niemand will doch seinen Patienten schaden.

Wird es nach der Krise weniger Praxen und weniger Labore geben? Oder trifft es nur die mit einer „Liquiditäts-Vorerkrankung“?

Signifikant weniger glaube ich nicht. Vorerkrankung im Liquiditätsbereich ist ein guter Begriff. Ja, wem es vor der Krise schon nicht gut ging, den wird es vielleicht nach der Krise nicht mehr geben. Corona könnte den Trend zu größeren Gemeinschaftspraxen beschleunigen. Die Feminisierung in der Zahnmedizin gibt da ja ohnehin die Richtung an.

Und bei den Dentallaboren? Die Großen bleiben, die Kleinen verschwinden vom Markt?

Das würde ich mit Blick auf die Corona-Krise generell so nicht unterstreichen. Ein Zwei-Mann-Betrieb erweist sich in solchen Zeiten oft flexibler als ein größeres Labor mit 20, 30 oder sogar noch mehr Mitarbeitern. Aber die generelle Entwicklung ist doch so, dass das Brot-und-Butter-Geschäft mit Kronen und Brücken tenden­ziell zurückgeht. Für die Dentallabore bedeutet die zunehmende CAD/CAM-Fertigung, dass sie sich und ihre Rolle im Herstellungsprozess neu definieren müssen. Der alte „Allround-Anbieter“ für das gesamte ZE-Spektrum aus einer Hand verliert an Bedeutung. Aber das ist ja keine Erkenntnis in einer Krise, von der wir alle noch nicht wissen, wie sie ausgehen wird.

Jetzt haben wir über den Umgang mit der Steuervoraus­zahlung noch gar nicht gesprochen. Müssen wir?

Ich denke, eine detaillierte Fach­auskunft würde hier den Rahmen sprengen. Die DENTAGEN-Mitgliedsbetriebe werden sich längst mit ihrem Steuerberater darüber ins Benehmen gesetzt haben. Bin ich mir sicher. Keiner weiß, wann diese Krise vorbei ist.

Sie leben seit 20 Jahren in Köln. Gefällt Ihnen die einzige Millionen-Stadt in NRW?

Ja, gefällt uns gut. Mit Ehefrau und Hund werden wir ganz sicher hier bleiben. Über die Lebensqualität einer Metropole mit so unglaublicher kultureller Vielfalt braucht man eigentlich nicht zu reden.

Eigentlich?

Na ja, Köln ist ja auch die Stadt, in der eigentlich vieles nicht wirklich funktioniert. Die Verkehrssituation werden Sie ja auf Ihrer Anreise durchlebt haben. Aber Köln wird geliebt, vor allem von seinen Ein­wohnern – seit jeher. Doch der Liebe steht das Gefühl gegenüber, dass sich Köln in den vergangenen Jahren zu seinem Nachteil verändert hat.

Zwischen Schunkeln und Scheitern ist ein schmaler Grat?

Wohl wahr. Aber nach dem Rheinischen Grundgesetz sind wir zu selbstverliebtem Frohsinn verpflichtet (lacht). Leben und leben lassen, jeder Jeck ist eben anders. Wir sind gern hier, weil wir auch die Nähe zum Grün lieben. Sollte man in der größten Stadt des Bundeslandes gar nicht erwarten oder? Wir nutzen die Nähe zum Bergischen Land und die große Grün­zone hin zum Flughafen Köln-Bonn. Der ja eigentlich in Köln-Wahn ist. Dass man dort wieder Vögel zwitschern hört, ist schön. Aber wirtschaftlich natürlich höchst bedenklich.

Ist man als Kölner nicht automatisch verpflichtet, FC-Fan zu sein?

Nein, als Zugezogener gehört man eh nicht wirklich dazu. Und da ich kein ausgewiesener Fußball-Fan bin, nervt mich dieser Club regelrecht. Aufstieg, Abstieg, Aufstieg – und wenn die drei Spiele hinter­einander gewonnen haben, wird schon von Europacup und Champions League gesponnen. Wenn Fußball, dann eher schon Borussia Dortmund. Das verspricht meist spektakulären, oft sehr emotionalen Sport. Als gebürtige Mönchengladbacherin ist meine Frau natürlich Fohlen-Fan. Auch eine sympathische Borussia.

Da geht einer wie ich, der an der Stadt­grenze zu Dortmund geboren ist, dort wo auch die DENTAGEN seit vielen Jahren ansässig ist, doch gern mit.

Herr Johannes, herzlichen Dank für das Gespräch.

Quelle: DENTAGEN Info 2020/02